Der Nuxit naht
Als erste Stadt in Bayern seit 45 Jahren will sich Neu-Ulm vom eigenen Landkreis trennen. Heute Abend soll eine Entscheidung fallen. Doch so eine Kreisfreiheit birgt auch Probleme
Aus seinen Gefühlen macht Thorsten Freudenberger keinen Hehl. Er spricht von Enttäuschung und Bedauern, von guten, dynamischen 45 Jahren, die nun zu Ende gehen, und von vielen Fragezeichen. Was dem Landrat derzeit durch den Kopf geht, ist ein Plan der Großen Kreisstadt Neu-Ulm. Die hat vor, dem Landkreis, der ihren Namen trägt, den Rücken zu kehren. Sollte es wirklich so weit kommen, wäre das ein historischer Schritt: Neu-Ulm wäre die erste bayerische Stadt seit der Gebietsreform im Jahr 1972, die aus einem Landkreis austritt.
Heute wird im Stadtrat entschieden, ob Neu-Ulm ihn tatsächlich will, den Nuxit – so wurde das Unabhängigkeitsbestreben benannt, angelehnt an den britischen Brexit und das Neu-Ulmer Autokennzeichen NU. Bisher sieht alles nach einem Kreis-Ausstieg aus. Oberbürgermeister Gerold Noerenberg hat sich bereits dafür ausgesprochen. Auch innerhalb der Fraktionen von CSU und SPD gibt es deutliche Sympathien für eine kreisfreie Stadt.
Landrat Freudenberger will sich gar nicht gegen das Vorhaben wehren. Es sei das gute Recht der Stadt. Was ihm aber Kopfzerbrechen bereitet, ist der immense Verwaltungsaufwand. „Ich bin niemand, der Angst hat oder der anderen Angst macht. Aber: Das wird keine billige Angelegenheit.“Dinge, die über 45 Jahre zusammengewachsen sind, zu trennen, werde schwierig. Momentan wisse man noch nicht einmal, wie viele Verträge es gibt, die aufgedröselt werden müssten. Und weil sich bislang noch keine bayerische Stadt aus einem Landkreis verabschiedet hat, gibt es auch keine Orientierungshilfen.
Es gibt noch mehr, worüber sich Freudenberger derzeit Gedanken macht. Etwa darüber, wie sein Landkreis künftig heißen soll. Denn den Namen einer Stadt, die partout nicht dazugehören will, soll er nicht tragen. Auch das Landratsamt werde nicht in Neu-Ulm bleiben können. Die Frage, welche Stadt neue Kreisstadt wird, ist noch offen. Und wie es mit dem geplanten Neubau eines Gymnasiums in Neu-Ulm weitergehen soll, der bisher im Zustän- digkeitsbereich des Landkreises lag, weiß der Landrat auch noch nicht.
Was er aber weiß: So schnell ändert sich erst einmal nichts. Wenn sich der Stadtrat für den Nuxit entscheidet, wird erst einmal ein Antrag vorbereitet. Denn den Austritt können die Kommunalpolitiker nicht autonom beschließen. Dafür ist die Zustimmung der Staatsregierung und des Landtags nötig. Der Innenausschuss hat sich nach Informationen unserer Zeitung schon Ende 2016 mit dem Ansinnen befasst. Widerstand gab es nicht.
Schon seit längerem wird in der mit rund 60000 Einwohnern größten kreisangehörigen Stadt Bayerns über den Nuxit diskutiert. Ein Argument: Die Kreisumlage von rund 36 Millionen Euro pro Jahr fiele weg. Bisher habe die Stadt kein Mitspracherecht zur Verwendung des Geldes gehabt – künftig könnte sie selbst entscheiden, wohin die Millionen fließen. Aber: Eine Bezirksumlage von 16 Millionen Euro und eine Krankenhausumlage von 1,1 Millionen kommen hinzu. Wie sich der Nuxit genau auf die Finanzen auswirken wird, steht noch nicht fest. Im Rathaus rechnet man damit, dass man bei einem Austritt pro Jahr etwa vier Millionen Euro mehr im Verwaltungshaushalt zur Verfügung hätte. Demgegenüber stünden aber auch neue Aufgaben.
Der entscheidende Faktor in der Debatte ist ein Mehr an Handlungsspielraum. Das gelte etwa für den öffentlichen Nahverkehr. „Da können wir keine eigenen Entscheidungen treffen und müssen immer über den Landkreis gehen“, sagt eine Rathaussprecherin. Auch für die Bürger soll sich einiges vereinfachen. Wer etwa neu in der Stadt ist, kann dann nicht nur sich, sondern auch gleich sein Auto im Rathaus anmelden. Bisher musste man wegen der Fahrzeugzulassung ins Landratsamt.
Komplett brechen will die Stadt mit dem Kreis nicht. Der Oberbürgermeister hat angekündigt, Kooperationen mit dem Kreis zu suchen. Landrat Freudenberger gibt sich indes zurückhaltend. Wo es sinnvoll sei, könne darüber geredet werden. Bei der Verteilung der Verwaltungsaufgaben könne es allerdings „keine halbe Kreisfreiheit geben“.