Von Gassen und Gaffern
Auf der A8 soll ein Pilotprojekt den Autofahrern beibringen, wie sie bei Staus den Rettungskräften Platz machen sollen. Was ein Helfer davon hält und was seiner Meinung nach das größere Problem auf den bayerischen Straßen ist
Ein Unfall. Ein kilometerlanger Stau. Auto an Auto – und von hinten kommt der Krankenwagen und hat keinen Platz, um zur Unfallstelle zu gelangen. Nicht erst seit dem dramatischen Busunglück auf der A9 vor wenigen Wochen, bei dem 18 Menschen starben und sich die Einsatzkräfte danach über die fehlende Rettungsgasse beschwerten, wird das Thema heiß diskutiert. Immer wieder kommt es zu den gleichen Problemen: Autofahrer machen keinen Platz und hindern die Helfer so an ihrer Arbeit.
Gestern wurde nun in Bayern ein Pilotprojekt gestartet. Auf der A8 zwischen dem Autobahnkreuz München-Süd und der Anschlussstelle Holzkirchen wird jetzt bei stockendem Verkehr oder Stau auf den digitalen Anzeigen über der Fahrbahn an das Freihalten einer Spur für Rettungswagen, Polizei und Notärzte erinnert. „Wir erwarten uns davon mehr Verkehrssicherheit. Sollte das Pilotprojekt gut laufen, planen wir, weitere Schilderbrücken auf Bayerns Autobahnen entsprechend auszurüsten“, sagte Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU).
Der Vorteil der digitalen Anzeige bestehe darin, dass das rote Dreieck mit dem Ausrufezeichen und dem Wort „Rettungsgasse“nur dann zu sehen ist, wenn es verkehrsbedingt auch wirklich notwendig ist und dann auch genau über der Spur aufblinkt, wo die Gasse zu bilden ist, nämlich zwischen dem linken und dem mittleren Fahrstreifen. Das einjährige Pilotprojekt ist Teil einer von Verkehrsministerium und ADAC zum Beginn der Sommerferien gestarteten Aufklärungskampagne zur Bildung von Rettungsgassen. Dazu gehören auch ein Flyer, der in mehreren Sprachen aufgelegt wurde, eine App für Smartphones sowie zusätzliche Banner, die an Autobahnbrücken montiert werden.
„Das ist gut so, allerdings hätte man auf diese Idee auch schon deutlich früher kommen können“, sagt
Heiko Feist. Der 49-Jährige ist ehrenamtlicher Feuerwehr- und Rettungsdienstmitarbeiter in der Region Neu-Ulm und hat seit jeher mit dem Problem zu kämpfen, dass Autofahrer keine Rettungsgasse bilden. Vor rund drei Jahren entwarf der gelernte Grafiker schließlich einen Autoaufkleber, mit dem auf die Rettungsgasse hingewiesen wird. weniger Wochen schlossen sich im Internet zehntausende Menschen seiner Kampagne an und er verschickte bundesweit die Aufkleber. In der Zwischenzeit gibt es von diesen im Netz unzählige – in sämtlichen Farben, Größen und Ausführungen. „Im ersten Moment habe ich mich über die Nachahmer geärgert, aber mittlerweile bin ich der Meinung: Je mehr Menschen so einen Aufkleber auf dem Auto haben, desto besser.“Doch wie nachhaltig ist die Wirkung der Aufkleber? „Ich finde schon, dass sich die Situation ein bisschen verbessert hat. Aber es ist immer noch viel zu tun“, sagt Feist. Die digitalen Anzeigen auf der A8 seien ein Puzzleteil. Höhere Strafen für BlockieInnerhalb rer und Gaffer seien ebenfalls dringend nötig. „Die müssen so hoch sein, dass es wirklich wehtut. Das spricht sich dann auch rum“, glaubt Feist.
Während er der Meinung ist, dass das Thema Rettungsgasse bei immer mehr Menschen ankomme, sieht er das Problem der Gaffer immer größer werden: „Sie machen Fotos und Videos von Unfällen und stellen die dann ins Netz – das wird immer schlimmer. Ich weiß gar nicht, was bei den Leuten im Kopf vorgeht“, wundert sich Feist.
„Die eine“Antwort auf diese Frage gibt es nicht, sagt Sozialpsychologe Dr. Roland Deutsch von der Universität Würzburg. Stattdessen spielten mehrere Faktoren zusammen: Menschen fühlten sich schon immer zu spannenden, aufregenden Dingen und Situationen hingezogen. „Deshalb lesen wir gerne Kriminalromane, schauen Horrorfilme oder steigen auf dem Rummelplatz in gefährlich aussehende Fahrgeschäfte“, erklärt Deutsch. Auch Unfälle seien eine Möglichkeit, das persönliche Aufregungsbedürfnis zu befriedigen. Da schaue man oft auch ungewollt hin.
Deutsch vermutet außerdem, dass negative Ereignisse die menschliche Aufmerksamkeit auch deswegen so stark anziehen, weil wir aus dem Unglück anderer lernen wollen, „um nicht den gleichen Fehler zu machen und so unser eigenes Überleben zu sichern“. Untersucht worden sei diese Theorie aber noch nicht.
Ein zweiter erwiesener Faktor, der Schaulustige antreibt, ist die Aufmerksamkeit, die sie erfahren, wenn sie ihre Filme und Fotos im Internet verbreiten. Deutsch nennt das die „soziale Belohnung“– und die gibt es nicht erst, seitdem jeder ein Smartphone mit Kamera in der Tasche hat.
„Früher hat man eben mit Freunden, Familien und Nachbarn über das Erlebte geredet und so Anerkennung bekommen“, sagt Deutsch. Die Wichtigkeit dieser sozialen Belohnung habe sich durch Smartphones und soziale Netzwerke aber erhöht.