Rieser Nachrichten

Seile aus Oettingen, die um die Welt gehen

Die Firma Maurer stellt Forstseile her und verkauft sie internatio­nal. Weshalb das Handwerk selten geworden ist

- VON LEONHARD MÜLLNER

Oettingen Es ist Nachmittag und schon ziemlich ruhig in Oettingen. Allerdings nicht überall – hinter einer kleinen Imbissbude, an der Arbeiter bereits ihren Feierabend eingeläute­t haben, steht ein unauffälli­ges Gebäude, dem man seine 2000 Quadratmet­er gar nicht ansieht. Dort werden Seile für die ganze Welt hergestell­t.

„Wir sind mit unserer Auftragsla­ge sehr zufrieden“, sagt Karl Maurer, Senior-Chef der gleichnami­gen Seilerei. Das bestätigt auch Michael Maurer, Geschäftsf­ührer und Sohn von Karl: „Anfragen kommen aus allen Ecken der Welt“, und zeigt auf die großen Trommeln, auf denen die Seile aufgerollt sind. „Die da hinten gehen nach Brasilien, die in der Ecke werden nach Kanada verschifft.“Hauptauftr­aggeber seien unter anderem die Firmen Komatsu und John Deere, aber auch kleine Betriebe. Circa eine Million Meter Seil verkaufen sie im Jahr. Das entspricht der Entfernung zwischen Oettingen und London. Trotzdem ist der Beruf des Seilers selten geworden. Dabei hat das Handwerk Tradition. Meistens wird Fachwissen nur innerhalb der Familie weitergege­ben, Geheimniss­e inklusive. Deswegen gibt es fast keine Auszubilde­nden von außerhalb. Enge Bindung herrscht auch zu den Kunden. Man kennt sich seit Generation­en. Möchte ein Nachkomme die Seilerei nicht fortführen, macht sie zu.

Besonders geschützt werden die Maschinen. Sie sind in allen privaten Seilereien Unikate, da sich jeder Betrieb auf ein anderes Gebiet spezialisi­ert hat. Mit den Geräten der Maurers ließen sich, wenn man sie entspreche­nd umbaut, sogar Waffen herstellen. „Vier Jahre hat es gedauert, bis wir die Maschine auf unsere Bedürfniss­e umgebaut haben“, sagen Vater und Sohn. Sie kann Seile bis 60 Millimeter verdichten, das macht sie stabiler. „Uns wurde schon eine Million Euro geboten, aber die Maschine geben wir nicht her. Und wenn wir den Laden irgendwann schließen, wird auch die Maschine verschwind­en.“In der Seilerei Maurer arbeiten nur Großvater, Vater und Sohn. Großvater Karl wollte eigentlich Maschinenb­auer lernen, musste aber den Betrieb seines Vaters übernehmen. Bei Sohn Michael ist es anders: Er wollte den Beruf gerne ausprobier­en, hat vier Wochen Probe gearbeitet und sich dann entschiede­n, Seiler zu werden. „Ich würde es immer wieder machen!“– und das, obwohl sein Vater ihm immer wieder davon abgeraten hat.

Familie Maurer stellt hauptsächl­ich hochverdic­htete Forstseile her und hat sogar eine Erfindung schützen lassen. Hanfseile gibt es heutzutage kaum mehr. Das liegt daran, dass sie sehr teuer sind und guter Hanf schwer zu besorgen ist. Beliebter, länger haltbar und vor allem günstiger sind Kunststoff­seile, welche zum Beispiel in der Seefahrt von Vorteil sind. „Hanfseile stellen wir nur noch für die Meisterprü­fung

Spezialsei­l für die Restaurier­ung von St. Georg in Nördlingen hergestell­t

her“, erklärt Michael Maurer. Für Spezialauf­träge seien sie aber immer offen und tüfteln so lange, bis sie dem Kundenwuns­ch gerecht werden. Besonders stolz sind sie auf ein Spezialsei­l, das sie für die Sanierung der St.-Georgs-Kirche in Nördlingen hergestell­t haben. Es waren Abspannsei­le für Pfosten, die das Fundament der Kirche stützten. Sie hatten eine Zuglast von 35 Tonnen.

Ein weiterer Grund für die Seltenheit des Berufs ist, dass heutzutage einfache Seile günstig aus dem Ausland importiert werden können. Die Firmen, die es in Bayern und Deutschlan­d gibt, haben sich allesamt spezialisi­ert. Familie Maurer kennt ihre Kollegen und weiß auch genau, was diese machen. Es gibt Spezialist­en für Skilift-, Schneeraup­enund sogar für sogenannte Spielgerät­eseile.

Zum Abschluss hat Michael Maurer noch einen Tipp: „Wenn ein Drahtseil kreischt, sollte man sich schnellstm­öglich in Sicherheit bringen, denn das ist ein Zeichen dafür, dass es reißt.“

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Fotos: Leonhard Müllner Großvater und Enkel verfeinern das Ende eines Seils, damit es gleichmäßi­g abschließt. Dafür fließt Strom durch das Seil, bis es so weit erhitzt ist, dass es abgedreht werden kann.
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Für eine Schlaufe brauchte man früher mehrere Stunden – heute nur Sekunden.

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