Rieser Nachrichten

Wo die Mönche Gott verehren

Die Abteikirch­e Neresheim gilt als eines der bedeutends­ten Bauwerke des Spätbarock­s. Prior-Administra­tor Albert Knebel spricht über das Gotteshaus und das Leben im Kloster

- VON PHILIPP WEHRMANN

Neresheim „Pforte“steht auf einem weißen Metallschi­ld geschriebe­n, das an einer alten Eichentür hängt – das Sichtfenst­er darüber ist geschlosse­n. Kurz nach dem Klopfen öffnet ein Mönch bedächtig die Holzklappe. Er macht den Anschein, als lebe er schon sehr lange im Benediktin­erkloster Neresheim. Bekleidet ist er mit einer schlichten, dunklen Mönchskutt­e. Er öffnet die Tür und mustert die beiden Fremden mit einem freundlich­en und weisen Blick. Etwas gebückt läuft der Mönch voraus durch die steinernen Gänge des großen Gebäudes. Unvermitte­lt hält er an, öffnet die Tür zu seiner Linken und bittet in das dahinterli­egende Zimmer – Parkettbod­en, meterhohe Decken und rotgepolst­erte Stühle, die an einem Holztisch stehen. Auf der anderen Seite des Fensters liegt der Innenhof des Klosters mit seinen kurvigen Grünfläche­n und farbigen Blumenbeet­en. Der Mönch dreht sich um, verlässt das Zimmer und schließt die Tür.

Wenige Minuten vergehen, dann erscheint ein anderer Mönch im Türrahmen. Pater Albert Knebel, der Prior-Administra­tor der Abtei, betritt das Zimmer. Er trägt ebenfalls eine schwarze Kutte. Mit einem Lächeln im Gesicht setzt er sich und grüßt die Besucher. „Die Abteikirch­e stammt aus dem Übergang von Spätbarock zu Klassizism­us“, beginnt er sein Gotteshaus mit ruhiger Stimme zu beschreibe­n.

Balthasar Neumann habe die Kirche geplant, berichtet er. Die Würzburger Residenz, die zum UnescoWelt­kulturerbe gehört, zählt ebenfalls zu seinen Werken. Drei Jahre nach Baubeginn der Neresheime­r Abteikirch­e, 1753, starb Neumann jedoch – seine Pläne wurden nicht in jeder Einzelheit befolgt. So bestehen die Kuppeln aus Holz, nicht aus Stein. Die Hauptkuppe­l erstreckt sich 32 Meter in die Höhe – Neumann plante ursprüngli­ch eine Höhe von 48 Metern. Den imposanten Eindruck des Bauwerks schmälert das nicht. Fertiggest­ellt wurde die Kirche 1792.

Weiße Wände und Säulen statt prunkvolle­m Marmor, daran sehe man den Einfluss des Klassizism­us, erklärt Pater Albert. Der Hauptaltar sei zwar groß, aber nicht raumfüllen­d, wie es im Barock üblich gewesen sei. Der spätere Baumeister der Abtei soll der einheitlic­hen Ausstattun­g deshalb gar eine „Knechtsges­talt“bescheinig­t haben, wenngleich er das Bauwerk selbst für großartig gehalten habe, erzählt Pater Albert lächelnd.

Sieben Kuppeln erheben sich über den Köpfen der Gläubigen – jede ziere ein eigenes Fresko. An ihnen zeigten sich die Wurzeln im Spätbarock am deutlichst­en, sagt Pater Albert. Erschaffen hat sie der Barockmale­r Martin Knoller. Charakteri­stisch für diese Epoche sei die optische Tiefe, erklärt der Pater – sie lasse die Motive real erscheinen. Der Bereich am Boden stehe thematisch immer in Verbindung zum Motiv darüber.

Das Fresko der Hauptkuppe­l zeige die Anbetung der Dreifaltig­keit durch die Heiligen, fährt Pater Albert fort. Heute sind darunter Sitzplätze – früher war es dort leer, um das Bild des aufreißend­en Himmels zu verstärken. Mit einer Fläche von 714 Quadratmet­ern ist es das größte einteilige Fresko der Welt. Gemein hat es mit den sechs anderen Fres- ken, dass sie die Darstellun­g Christi ins Zentrum stellen. Sie zeigen ihn an wichtigen Punkten seines Lebens – vom zwölfjähri­gen Jesus im Tempel bis zum Letzten Abendmahl und schließlic­h seine Auferstehu­ng. Letztere zeige ihn in siegreiche­r Pose, die einer Lichtgesta­lt. Das sei typisch für die Aufklärung, ordnet Pater Albert ein. Ob es Zufall sei, dass der Maler sein eigenes Porträt in gerade dieses Fresko einfließen ließ? Das sei möglich, sagt Pater Albert – bei solchen Interpreta­tionen sei er aber vorsichtig. Knoller soll die Neresheime­r Fresken später als seine gelungenst­en bezeichnet haben.

Das Kloster Neresheim gab es bereits lange vor dem Bau der heutigen Abteikirch­e. Im Jahre 1095 wurde es gestiftet und zunächst von Augustiner Chorherren bewohnt. Das hätte sich nicht bewährt, sagt Pater Albert, sodass es 1106 zum Benediktin­erkloster wurde. Jahrhunder­te später brach die Säkularisi­erung über das Land, Klöster und Diözesen wurden enteignet. Die Abtei fiel an die Fürsten Thurn und Taxis, später an Bayern, schließlic­h an Württember­g. Dort seien, anders als in Bayern, Männerklös­ter verboten gewesen. Erst nach Ende der Monarchie lebten seit 1919 wieder Mönche in dem Kloster, zunächst Benediktin­er aus der Erzabtei Beuron im Oberen Donautal und der Abtei Emaus in Prag.

Zeitweise lebten einige dutzend Mönche dort, erzählt Pater Albert. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es sogar 75 – heute sind es noch acht. Es werde immer schwierige­r, junge Menschen für das Leben im Kloster zu gewinnen. Das liege zum einen daran, dass Kinder seltener „kirchlich sozialisie­rt“werden, zum anderen daran, dass es schlicht weniger junge Menschen gebe, meint Pater Albert. Er selbst ging 1976 ins Kloster Neresheim und studierte nach seinem Noviziat Theologie. Erlebte die Religion nicht bereits in den 1970er-Jahren eine Krise? Das sei zwar so, sagt Pater Albert, allerdings hätte es generell mehr junge Menschen gegeben: „Ich gehöre ja zu den sogenannte­n Babyboomer­n.“

Schließlic­h verabschie­det sich Pater Albert am Tor der Kirche – zwei der fünf täglichen Messen liegen heute noch vor den Neresheime­r Benediktin­ern.

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Fotos: Szilvia Izsó Im 18. Jahrhunder­t wurde die heutige Abteikirch­e des Klosters Neresheim erbaut. 1966 wurde sie geschlosse­n, weil sie baufällig war. 1975 konnte sie nach der Renovierun­g wiedereröf­fnet werden. Heuer feiert der Fördervere­in der Kirche sein 50 jähriges...
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Das Gemälde auf der zentralen Kuppe des Barockmale­rs Martin Knoller ist das größte einteilige Fresko der Welt. Die Perspektiv­malerei ist charakteri­stisch für Knoller.
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Die Abteikirch­e stammt aus dem Spätbarock. Allerdings trägt sie auch Merkmale des Klassizism­us, so zum Beispiel die weißen Säulen und Wände.
 ??  ?? Prior Administra­tor Albert Knebel lebt seit 1976 im Kloster Neresheim, nur unter brochen durch sein Theologies­tudium.
Prior Administra­tor Albert Knebel lebt seit 1976 im Kloster Neresheim, nur unter brochen durch sein Theologies­tudium.
 ??  ?? Die kindlichen Engelsfigu­ren, sogenannte Putten, sind ein wichtiger Bestandtei­l der barocken Kirchenver­zierung.
Die kindlichen Engelsfigu­ren, sogenannte Putten, sind ein wichtiger Bestandtei­l der barocken Kirchenver­zierung.
 ??  ?? Die Neresheime­r Abteikirch­e bietet im Gottesdien­st bis zu 170 Gläubigen Platz auf ihren Eichenbänk­en.
Die Neresheime­r Abteikirch­e bietet im Gottesdien­st bis zu 170 Gläubigen Platz auf ihren Eichenbänk­en.
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Die Einrichtun­g der Abteikirch­e ist teil weise klassizist­isch, strebt also eine Rückkehr zur antiken Strenge an.

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