Wo die Mönche Gott verehren
Die Abteikirche Neresheim gilt als eines der bedeutendsten Bauwerke des Spätbarocks. Prior-Administrator Albert Knebel spricht über das Gotteshaus und das Leben im Kloster
Neresheim „Pforte“steht auf einem weißen Metallschild geschrieben, das an einer alten Eichentür hängt – das Sichtfenster darüber ist geschlossen. Kurz nach dem Klopfen öffnet ein Mönch bedächtig die Holzklappe. Er macht den Anschein, als lebe er schon sehr lange im Benediktinerkloster Neresheim. Bekleidet ist er mit einer schlichten, dunklen Mönchskutte. Er öffnet die Tür und mustert die beiden Fremden mit einem freundlichen und weisen Blick. Etwas gebückt läuft der Mönch voraus durch die steinernen Gänge des großen Gebäudes. Unvermittelt hält er an, öffnet die Tür zu seiner Linken und bittet in das dahinterliegende Zimmer – Parkettboden, meterhohe Decken und rotgepolsterte Stühle, die an einem Holztisch stehen. Auf der anderen Seite des Fensters liegt der Innenhof des Klosters mit seinen kurvigen Grünflächen und farbigen Blumenbeeten. Der Mönch dreht sich um, verlässt das Zimmer und schließt die Tür.
Wenige Minuten vergehen, dann erscheint ein anderer Mönch im Türrahmen. Pater Albert Knebel, der Prior-Administrator der Abtei, betritt das Zimmer. Er trägt ebenfalls eine schwarze Kutte. Mit einem Lächeln im Gesicht setzt er sich und grüßt die Besucher. „Die Abteikirche stammt aus dem Übergang von Spätbarock zu Klassizismus“, beginnt er sein Gotteshaus mit ruhiger Stimme zu beschreiben.
Balthasar Neumann habe die Kirche geplant, berichtet er. Die Würzburger Residenz, die zum UnescoWeltkulturerbe gehört, zählt ebenfalls zu seinen Werken. Drei Jahre nach Baubeginn der Neresheimer Abteikirche, 1753, starb Neumann jedoch – seine Pläne wurden nicht in jeder Einzelheit befolgt. So bestehen die Kuppeln aus Holz, nicht aus Stein. Die Hauptkuppel erstreckt sich 32 Meter in die Höhe – Neumann plante ursprünglich eine Höhe von 48 Metern. Den imposanten Eindruck des Bauwerks schmälert das nicht. Fertiggestellt wurde die Kirche 1792.
Weiße Wände und Säulen statt prunkvollem Marmor, daran sehe man den Einfluss des Klassizismus, erklärt Pater Albert. Der Hauptaltar sei zwar groß, aber nicht raumfüllend, wie es im Barock üblich gewesen sei. Der spätere Baumeister der Abtei soll der einheitlichen Ausstattung deshalb gar eine „Knechtsgestalt“bescheinigt haben, wenngleich er das Bauwerk selbst für großartig gehalten habe, erzählt Pater Albert lächelnd.
Sieben Kuppeln erheben sich über den Köpfen der Gläubigen – jede ziere ein eigenes Fresko. An ihnen zeigten sich die Wurzeln im Spätbarock am deutlichsten, sagt Pater Albert. Erschaffen hat sie der Barockmaler Martin Knoller. Charakteristisch für diese Epoche sei die optische Tiefe, erklärt der Pater – sie lasse die Motive real erscheinen. Der Bereich am Boden stehe thematisch immer in Verbindung zum Motiv darüber.
Das Fresko der Hauptkuppel zeige die Anbetung der Dreifaltigkeit durch die Heiligen, fährt Pater Albert fort. Heute sind darunter Sitzplätze – früher war es dort leer, um das Bild des aufreißenden Himmels zu verstärken. Mit einer Fläche von 714 Quadratmetern ist es das größte einteilige Fresko der Welt. Gemein hat es mit den sechs anderen Fres- ken, dass sie die Darstellung Christi ins Zentrum stellen. Sie zeigen ihn an wichtigen Punkten seines Lebens – vom zwölfjährigen Jesus im Tempel bis zum Letzten Abendmahl und schließlich seine Auferstehung. Letztere zeige ihn in siegreicher Pose, die einer Lichtgestalt. Das sei typisch für die Aufklärung, ordnet Pater Albert ein. Ob es Zufall sei, dass der Maler sein eigenes Porträt in gerade dieses Fresko einfließen ließ? Das sei möglich, sagt Pater Albert – bei solchen Interpretationen sei er aber vorsichtig. Knoller soll die Neresheimer Fresken später als seine gelungensten bezeichnet haben.
Das Kloster Neresheim gab es bereits lange vor dem Bau der heutigen Abteikirche. Im Jahre 1095 wurde es gestiftet und zunächst von Augustiner Chorherren bewohnt. Das hätte sich nicht bewährt, sagt Pater Albert, sodass es 1106 zum Benediktinerkloster wurde. Jahrhunderte später brach die Säkularisierung über das Land, Klöster und Diözesen wurden enteignet. Die Abtei fiel an die Fürsten Thurn und Taxis, später an Bayern, schließlich an Württemberg. Dort seien, anders als in Bayern, Männerklöster verboten gewesen. Erst nach Ende der Monarchie lebten seit 1919 wieder Mönche in dem Kloster, zunächst Benediktiner aus der Erzabtei Beuron im Oberen Donautal und der Abtei Emaus in Prag.
Zeitweise lebten einige dutzend Mönche dort, erzählt Pater Albert. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es sogar 75 – heute sind es noch acht. Es werde immer schwieriger, junge Menschen für das Leben im Kloster zu gewinnen. Das liege zum einen daran, dass Kinder seltener „kirchlich sozialisiert“werden, zum anderen daran, dass es schlicht weniger junge Menschen gebe, meint Pater Albert. Er selbst ging 1976 ins Kloster Neresheim und studierte nach seinem Noviziat Theologie. Erlebte die Religion nicht bereits in den 1970er-Jahren eine Krise? Das sei zwar so, sagt Pater Albert, allerdings hätte es generell mehr junge Menschen gegeben: „Ich gehöre ja zu den sogenannten Babyboomern.“
Schließlich verabschiedet sich Pater Albert am Tor der Kirche – zwei der fünf täglichen Messen liegen heute noch vor den Neresheimer Benediktinern.