Ein Spezialist für dunkle Typen
Faszinierend, wie Javier Bardem Schurken auf die Kinoleinwand bringt. Und vollends verblüffend, dass er auch in Komödien überzeugt. Wie macht er das nur?
Es gibt Schauspieler, deren Gesicht wie geschaffen ist für die Darstellung des Bösen. Javier Bardem hat so ein Gesicht. Man muss sich nur mal „No Country for Old Men“anschauen, die Szene, in der Bardem in der Rolle eines Killers einem Tankstellenbesitzer gegenübertritt. Bardem verzichtet auf jegliches Bösewichtgetue, seine Stimme schwingt in ganz normaler Frequenz, er stößt auch keine Drohungen aus. Aber diese Augen: unter schweren Lidern riesige dunkle Pupillen und darin – ein Abgrund. Als der Killer für den Tankwart schließlich die Münze wirft – „Kopf oder Zahl?“–, ist klar: Wenn die falsche Seite nach oben kommt, ist es um den Mann geschehen.
In einer ganzen Reihe von Filmen hat der spanische Schauspieler faszinierende Schurken gegeben, nicht zuletzt im Bond-Abenteuer „Skyfall“. Aber dann dieses: Zwei amerikanische Touristinnen sitzen in Barcelona in einem Lokal, Javier Bardem tritt an ihren Tisch, und was passiert? Die jungen Frauen erliegen seinem Latin-Lover-Charme – eine wunderbare Szene aus Woody Allens „Vicky Christina Barcelona“.
Das ist wohl der Grund, weshalb dieser Javier Ángel Encinas Bardem, 1969 auf Gran Canaria geboren, im Filmgeschäft derzeit so präsent ist wie kaum ein anderer:
Er kann einfach alles spielen, gibt den Brutalo ebenso glaubhaft wie den Verführer. Und erst die gebrochenen Charaktere wie dieser Kleinkriminelle in „Biutiful“, ein Mann, der seine kleinen Kinder durchbringen muss, aber unheilbar an Krebs erkrankt ist – Bardems Blicke in diesem Film schnüren einem den Hals zu. Woher nimmt er diese Präsenz auf der Leinwand? Vielleicht, weil der ehemalige Rugby-Spieler immer mit dem ganzen Körper in seinen Figuren steckt. Und wahrscheinlich auch, weil in seiner Familie alle irgendetwas mit der Schauspielerei zu tun haben. Großvater und Großmutter standen auf der Bühne, Mutter Pilar sieht auf eine erfolgreiche Filmkarriere zurück, und auch Bardems Schwester Mónica, die jetzt das Familienrestaurant „La Bardemcilla“in Madrid führt, war Schauspielerin. Kein Wunder also, dass der Weg vorgezeichnet war.
Früh wurden spanische Regisseure auf ihn aufmerksam, darunter Pedro Almodóvar. In dessen „Live Flesh“spielte er 1997 an der Seite einer Frau, mit der er zehn Jahre später wieder vor der Kamera stand. Und diesmal, beim Dreh von „Vicky Christina Barcelona“, zündete es zwischen Bardem und Penélope Cruz. Inzwischen sind sie verheiratet und haben zwei Kinder. Demnächst sind sie wieder Seite an Seite zu sehen in dem Drogenthriller „Loving Pablo“. Erst aber läuft ab diesem Donnerstag ein weiterer Film des viel beschäftigten Bardem im Kino, „Mother!“, in dem er einen Schriftsteller an der Seite einer von Visionen geplagten Frau spielt. Beim Filmfest in Venedig gab es allerdings ein Buh-Konzert für den Streifen. Unwahrscheinlich also, dass Bardem gerade hierfür den lang ersehnten Darsteller-Oscar bekommt. Stefan Dosch