Experten leben gefährlich
Zeitgeist und Fortschritt haben es mit sich gebracht, dass es viele Berufsgruppen heute einfach nicht mehr gibt. Kein Sechsjähriger, der seinen Eltern mit leuchtenden Augen berichtet, er würde gerne Harzer werden. Dabei war es früher ein durchaus ehrenwerter Beruf, Harz zur Teerherstellung zu sammeln. Oder aber der erstrebenswerte Posten des Frühstücksdirektors. So durften sich vor allem die missratenen Nachkommen mächtiger Patriarchen nennen – ohne auch nur dem Assistenten des Hausmeisters gegenüber weisungsbefugt zu sein.
In Spitzenvereinen war es üblich, verdiente Mitarbeiter mit einer Funktion auszustatten, deren Notwendigkeit für die Fortentwicklung des Klubs nicht zwingend notwendig ist. Fanklubbetreuer, CoTrainer der zweiten Frauenmannschaft, Pressewart der Kegler. In Zeiten marodierender Unternehmensberater (die es wiederum früher nicht gab) nahmen sich Vereine verstärkt die Personalkosten zur Brust. Freilich nicht die der hochbezahlten Kicker, sondern jene der auf sinnlose Posten versetzten Altstars.
Wollten die fortan ihr Auskommen nicht mit Autohauseröffnungen verdienen, suchten sie sich einen Job beim Fernsehsender ihrer Wahl. Der Beruf des TV-Experten erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. Die Vorzüge sind offensichtlich: passable Bezahlung, beste Plätze im Stadion und das Ganze ohne Gefährdung der eigenen Gesundheit. Dachte man. Mehmet Scholl durfte Mario Gomez ungestraft vorwerfen, sich auf dem Platz wund zu legen. Oliver Kahn ist neben dem Platz genauso kompromisslos wie früher im Strafraum. Experte zu sein bedeutet, nicht direkt auf das Objekt der Kritik zu treffen. Distanz schafft Schärfe.
Christian Constantin hat dem Schweizer Fußballsachverständigen Rolf Fringer nun der Annahme beraubt, das Leben eines TV-Experten sei frei von Gefahr. Der Präsident des FC Sion ohrfeigte nach dem Spiel den ehemaligen Coach des VfB Stuttgart und versetzte dem flüchtenden Fringer anschließend noch einen Tritt auf den Hintern. Constantin fühlte sich von dem 60-Jährigen in ein schlechtes Licht gerückt, weil ihn dieser als Narzisst bezeichnet hatte.
Ein juristisches Nachspiel ist sicher. Egal, wie es ausgeht: Das Berufsbild hat Schaden genommen. Der TV-Experte könnte in Kürze dem Frühstücksdirektor und dem Harzer folgen. Wie aber sollen sich Profis auch nach der Karriere noch Luxuswagen und Tätowierung leisten können? Autohauseröffnungen dürften wieder stark im Kommen sein.