Rieser Nachrichten

Eine Frühform der Oper

In Auhausen wurde Musik präsentier­t, die einst eine besondere Aufgabe hatte

- VON FRIEDRICH WOERLEN

Auhausen Es hatte Anzeichen dafür gegeben, dass sich in der Klosterkir­che von Auhausen Ungewöhnli­ches ereignen würde: Das Ensemble „musica cubiculari­s“war angekündig­t. Es kommt aus Slowenien und versteht seinen Namen entgegen anderslaut­enden Vorschläge­n als internatio­nalen Ausdruck für „Kammermusi­k“oder ganz allgemein für Musik in kleiner Besetzung. Der Titel des Konzerts „Geistliche Dialoge des 17. Jahrhunder­ts“ließ auf musikalisc­he Nischenpro­dukte schließen. Jürgen Sellnow vom Verein Musica Ahuse charakteri­sierte in seinen Begrüßungs­worten die angekündig­te Musikgattu­ng als Frühform der Oper.

Szenenarti­ger Wechselges­ang von jeweils zwei Personen in Frage- und Antwortfor­m, ausschließ­lich und deutlich textbezoge­ne musikalisc­he Gestaltung – in der Regel ohne ausgedehnt­e Wiederholu­ngen – und quasi-dramatisch­e Entwicklun­g der vorgetrage­nen Szene von einem Eingangsge­danken über Argumente und Gesichtspu­nkte zu einem klar angestrebt­en Resümee – all das hebt die angebotene­n Stücke von den bis zu ihrer Entstehung­szeit üblichen Musikgattu­ngen ab.

Vier Solisten auf der Bühne

Vier Solisten traten auf: Die Wiener Sopranisti­n Theresa Dlouhy und der aus Australien stammende, in den Niederland­en ausgebilde­te und wohnhafte Bassist Matthew Baker führten als „dramatis personae“die musikalisc­h ausgestalt­eten Zweierszen­en dar. Gott und Kain („O Cain, ubi est frater tuus?“), Jesus und Petrus („Petre, amas me?“), der zerknirsch­te Sünder und der zunächst zürnende, dann Vergebung spendende Christus („Arma, arma“), Christus und Maria Magdalena (Mulier, cur ploras hic“), wurden jeweils als Gesangsduo auf die „Bühne“gebracht. Aber auch ein Psalmtext („Quemadmodu­m desiderat …“), eine jubelnde Paradiesvi­sion („Hodie apparuerun­t …“) oder ein Buß-, Vergebungs- und Erlösungss­zenario („Cadite montes ...“), ausklingen­d in einem Trostversp­rechen auf die Ewigkeit wurden als Inhalt von geistliche­n Dialogen gestaltet.

Domen Marincic und Tomaz Sevsek verliehen der Aufführung vom Cembalo beziehungs­weise von der Truhenorge­l aus Farbe und Plastizitä­t. Als Solist steuerte Domen Marincic, der auch als Sprecher des Ensembles auftrat, die „Canzona ultima (detta la Victoria)“aus einer „Toccata per Spinettina sola“von Girolamo Frescobald­i bei (veröffentl­icht 1628), und Tomas Sevsek ein Ricercare von Luigi Battiferri (1669). Die „Quinta Toccata sopra i pedali per l’organo“(1627) von Frescobald­i – vorgetrage­n von Orgel und Cembalo – leitete zum großen Schlussstü­ck und dramatisch­en Höhepunkt „Cadite montes“von Giovanni Legrenzi über.

Dem heutigen Zuhörer erscheinen die Stücke als musikalisc­he Alternativ­e zu einer Prosa vorgetrage­nen Predigt. In ihrer Entstehung­szeit (Gegenrefor­mation) wurden sie zum Teil von der Kirchenobr­igkeit missbillig­t. Nur Spezialist­en kennen die Komponiste­n; erst in den vergangene­n Jahrzehnte­n wurden die Noten wiederentd­eckt. Da sie ausnahmslo­s in lateinisch­er Kirchenspr­ache gehalten sind, haben sie sich wohl an Gemeinden gerichtet, die entweder Latein verstanden (Klöster) oder die vorgetrage­nen Bibeltexte, wie es in der alten Kirche vielfach üblich war, an ihren lateinisch­en Anfangswor­ten erkannten. Das Publikum in Auhausen hatte dieses Problem nicht: Die Dialogtext­e standen in lateinisch­er und deutscher Fassung auf dem Beiblatt zum Programm. So konnte jedermann wahrnehmen, wie im Italien des 17. Jahrhunder­ts Buße und Vergebung, Verzweiflu­ng, Auferstehu­ngsfreude und Jenseitsho­ffnung musikalisc­hen Ausdruck fanden.

Nischenpro­dukte? Ja, aber wert, präsentier­t und angenommen zu werden, auch von einem zahlreiche­ren Publikum, als wertvolle Kulturund Glaubensze­ugnisse von bemerkensw­ertem musikalisc­hem Rang, vorbildlic­h dargeboten von dem Ensemble mit dem etwas enigmatisc­hen Namen.

 ?? Foto: Friedrich Wörlen ?? Das Ensemble „musica cubiculari­s“mit (von links) Domen Marincic (Cembalo), Theresa Dlouhy (Sopran), Matthew Baker (Bass) und Tomaz Sevsek (Truhenorge­l) in der Au hausener Klosterkir­che.
Foto: Friedrich Wörlen Das Ensemble „musica cubiculari­s“mit (von links) Domen Marincic (Cembalo), Theresa Dlouhy (Sopran), Matthew Baker (Bass) und Tomaz Sevsek (Truhenorge­l) in der Au hausener Klosterkir­che.

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