Ein Techtelmechtel zwischen Katholisch und Evangelisch
Bei der Premiere des Stücks „Gnade vor Recht“in Oettingen zeigen rund 40 Laienschauspieler ein bedeutendes Stück Stadtgeschichte. Was die Besucher in der ausverkauften St.-Jakobs-Kirche erleben durften
Oettingen „Geht nicht“, sagen die Leut. Denn im Oettingen von 1704 ist es ein ehernes Gesetz, dass Evangelische keine Katholischen und umgekehrt heiraten dürfen. Und das obwohl beide Konfessionen in der Stadt friedlich nebeneinander leben. Das ist die Welt, in der der evangelische Martin (Benedikt Saulich), Diener beim katholischen Grafen Oettingen-Spielberg, und die katholische Marie (Nele Sandmeyer) sich begegnen und sich gerne sehen. Das bleibt auch nicht verborgen, sodass die Leute auf beiden konfessionellen Seiten sich „das Maul zerreißen“über die sich heimlich anbahnende Sünde. Und auch Maries Mutter (Saskia Diener: „Mein Mann denkt dasselbe wie ich“) erfährt von dieser Liebe, die Schande über die Familie zu bringen droht.
Die Geschichte der jungen Leute, die gar noch heiraten wollen, ist der rote Faden für ein ungewöhnliches Sittengemälde der Stadt Oettingen aus einer Zeit, da zwei Herrschaften eines Adelsgeschlechts je zur Hälfte das Oettingsche Herrschaftsgebiet teilen, zwei Schlösser in Sichtweite, der Fürst Oettingen zu Oettingen protestantisch, der Graf Oettingen Spielberg katholisch. Die Schlossstraße als Trennlinie, zwei Kirchengemeinden mit den entsprechenden Pfarrern, zwei Verwaltungen, zwei Nachtwächtern … – alles doppelt vertreten. Außer Streit über die Kehrpflicht auf den Straßen und ähnlichen unbedeutenden Anlässen zeichnete ein Historienspiel in der Jakobskirche ein friedliches Bild ohne größere Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen. Die Autorin Claudia Langer entwarf nach der Idee des evangelischen Dekans Armin Diener vor der Kulisse des Rathauses ein Idealbild vom Zusammenleben der religiösen Gruppen, in das auch noch die Juden eingeschlossen waren.
Die verbotene Liebe von Martin und Marie trübte diese Idylle und beschwor eine Eskalation herauf, als Martin auf den Rat seines evangelischen Seelsorgers (Christian Wippermann) das Konsistorium anrufen wollte, um das katholische Mädchen heiraten zu dürfen. Zu allem Übel bedrohten zur selben Zeit Kriegsheere Nachbarstädte wie Donauwörth, das bereits eingenommen und geplündert war, und versetzten die Bürgerschaft Oettingens in Angst und Schrecken. Der evangelische Fürst Ernst Albrecht war bereits als General in das Kriegsgeschehen des Spanischen Erbfolgekrieges verwickelt, der Graf Oettingen-Spielberg fürchtete einen An- griff auf Oettingens Mauern, mobilisierte die Stadtwachen und erließ Verhaltensmaßregeln für die Bürgerschaft. Er harrte mit seiner Gattin auf positive Nachrichten und hoffte darauf, dass die Soldaten von Donauwörth aus in eine andere Richtung zögen. Und tatsächlich diese zogen auf Blindheim zu, wo eine fürchterliche Schlacht den Krieg entschied. Oettingen konnte aufatmen und nahm auch die Entscheidung des Konsistoriums der Geistlichen mit Erleichterung auf: Martin, der Diener, durfte Marie heiraten, denn der Graf und seine Gemahlin legten gute Worte ein und versprachen, die Braut bei Hof als Magd einzustellen. Der Superintendent höchstpersönlich wollte dem Fürs- ten die Entscheidung überbringen, denn er kenne die leckeren Speisen auf dessen Tisch.
So nahm das auch mit viel Humor gewürzte Spiel ein glückliches Ende und erinnerte die Zuschauer an eine für Oettingens Geschichte prägende Sonderheit, die als Folge des sich zur Reformation bekennenden adeligen Familienzweigs entstandene religiöse Zweiteilung, als Vorbild dienen könnte. Die nachbarschaftlichen Erfahrungen der Oettinger wirken offensichtlich bis in die heutige Zeit, sodass man bei der Mitwirkung der örtlichen Geistlichen und gegenseitigem Austausch der konfessionellen Rollen erkennen konnte, dass hier nicht nur ökumenische Worte, sondern ökumenische Wirklichkeit sichtbar wurde. Dies alles mit Laienschauspielern, die in ihrer Natürlichkeit ein anschauliches Bild der Gesellschaft zeigten. Dass Geistliche für die spielerischen Höhepunkte sorgten, bestätigt, dass sie in ihrem Beruf durchaus schauspielerische Fähigkeiten entwickeln. Wenn die Bürgermeisterin Petra Wagner die Fürstin, der evangelische Dekan Armin Diener den Fürsten, der Bezirksrat Reinhold Bittner den Hauptmann und der Heimatpfleger Herbert Dettweiler den Pilger und Kantor Dietmar Kress seine Improvisationen als Zwischenmusik einträchtig spielen, freut das den Schirmherrn Fürst Albrecht zu Oettingen-Spielberg als ein Zeichen bürgerlichen Gemeinschaftssinns.
Wenn noch der evangelische Lehrer Karl Huber den katholischen Priester, Pfarrer Uli Tauber den schrulligen Generalsuperintendenten mimt, sowie der katholische Stadtpfarrer Dr. Ulrich Manz den Martin Luther verkörpert und dessen Kampflied „Ein feste Burg ist unser Gott!“singt, erkennt man hinter dem Titel „Gnade vor Recht“Luthers Vorstellungen von der unmittelbar geschenkten Gottesgnade. Dann kann man den etwa 40 mitwirkenden Oettingern bescheinigen, dass sie ein zeitloses historisches Gemeinschaftswerk im Luther-Gedächtnisjahr in Szene gesetzt haben. Die Zuhörer in der voll besetzten Jakobskirche bekundeten dies durch langen, begeisterten Beifall.