Das Reformationsjubiläum stärkt das protestantische Selbstbewusstsein
Vielen Deutschen ist Martin Luther 2017 vertrauter geworden. Jetzt kommt es darauf an, sein Erbe für eine pluralistische Gesellschaft fruchtbar zu machen
Vielen Deutschen ist Martin Luther dieses Jahr nähergekommen. Sympathisch sah er als millionenfach verkaufte Spielzeugfigur mit seinem Federkiel und seiner Bibel aus. Und das war nicht der einzige kommerzielle Erfolg, der mit dem Reformator 2017 erzielt wurde. Der Luther-Tourismus bescherte in seinen mitteldeutschen Stammlanden die erhofften Zuwächse, die Wartburg kam dank der Ausstellung „Luther und die Deutschen“an ihre Kapazitätsgrenzen, und auch die Bayerische Landesausstellung auf der Veste Coburg erreichte mehr als 130 000 Besucher.
Das Reformationsjubiläumsjahr hat, wenn auch nicht überall in gleicher Weise, die Aufmerksamkeit auf Luther fokussiert. Fragt sich nur, auf welchen: auf den furchtlosen Hammerschwinger des Jahres 1517, der sich grandios zum historischen Superhelden gegen ein verrottetes Kirchenwesen stilisieren lässt, oder auch auf Luthers Erben, die sich 500 Jahre später abmühen, die Kirchlichkeit in Deutschland aufrechtzuerhalten. Wie dem auch sei, dem protestantischen Selbstbewusstsein hat das Reformationsjahr allemal gutgetan.
Luthers Auftreten war eben kein Betriebsunfall, der ein konkurrierendes System hervorgebracht hat. Sondern das ehrliche Bemühen um religiöse Erneuerung, die zu alternativen Zugängen zum Heil eines Christenmenschen führte. Wenn sogar der Papst zum Lutherischen Weltbund kam, um den Brüdern und Schwestern in Christus seine Reverenz zu erweisen und die Hoffnung zu nähren, dass eines nicht zu fernen Tages doch wieder zusammenfindet, was zusammengehört, war die Reformation vor 500 Jahren auch kein gefährlicher Irrweg.
In Deutschland wurde das Reformationsjubiläum erstmals in evangelisch-katholischer Gemeinsamkeit begangen und diese mit einem aufrichtigen Versöhnungsgottesdienst besiegelt. In dieser Weichenstellung der Kirchenleitungen schlägt sich die wachsende Erkenntnis nieder, dass es keine unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den beiden Konfessionen gibt. Wahrscheinlich erfolgte deshalb zum Jubiläumsfinale ein heftiger katholischer Einspruch gegen zu viel Ökumene-Seligkeit. Dahinter steckt wohl die Befürchtung, man könnte sich zu nahekommen und gar vereinnahmt werden. Auf evangelikaler Seite gibt es derlei Ängste ebenfalls. Das muss nicht beunruhigen. Im Lauf der Kirchengeschichte gab es immer Bewegungen, die sich absetzten, um strikter und rigider religiös zu leben.
Doch Ökumene meint längst nicht mehr, eigene Positionen zu räumen und reumütig einzuscheren in die einzig wahre Kirche. So wie Lutheraner das Altgläubige an ihrem Ahnherrn wieder entdeckt haben, so haben Katholiken Martin Luthers Antrieb, um des Glaubens an einen gnädigen Gott willen aufzustehen gegen anmaßende irdische Gnadenverwalter, als legitimes religiöses Anliegen erkannt. Das ebnet die verschiedenen Konzepte nicht ein, doch es schafft eine Gesprächsbasis. Ökumene 2017 kann nur heißen, unter zwei Kirchen die Widerspruchsfreiheit im Wesentlichen festzustellen. Lutheraner werden Lutheraner bleiben.
Warum auch nicht? Unsere Gesellschaft hat gelernt, unterschiedliche Lebensentwürfe auszuhalten, solange von allen die Wertebasis geachtet wird. Dahinter steht eine Lehre aus den blutigen Kämpfen der Reformation: Jeder soll seinem Gewissen als Wahrheitsinstanz frei folgen dürfen. Darin steckt nicht das Recht auf schrankenlose Selbstverwirklichung, vielmehr auf ernsthafte Selbstverantwortung. Auch dies ist ein Erbe der Reformation. Sie startete eine Bildungsoffensive, die auch einer Gesellschaft, die dem Einzelnen aufbürdet, sein Leben frei einzurichten, wieder guttäte.
Sogar der Papst erwies seine Reverenz