Dem Tod getrotzt
Wäre es nach den Prognosen der Ärzte gegangen, hätte Roman Schiele längst sein eigenes Grab auf dem Friedhof. Ein halbes Jahr noch hatten sie ihm gegeben. Diagnose: Schilddrüsenkrebs mit Befall der Lymphknoten und Metastasen in der Lunge. Ein halbes Jahr noch ... Was für eine dramatisch kurze Frist, was für ein bedrohliches Limit für einen Menschen, der mitten im Leben steht, der eine Familie mit vier halbwüchsigen Kindern hat, der als Geschäftsführer zwei Kliniken leitet und meint, Bäume ausreißen zu müssen. Ein halbes Jahr noch ... Und dann? Dann kommt der Tod!
Neun Jahre ist diese Prognose her – ganze 18 halbe Jahre sind somit ins Land gegangen. Roman Schiele lebt. Der heute 56-Jährige hat allen medizinischen Vorhersagen getrotzt. Er hat gekämpft, geweint, sich die Verzweiflung oft im einsamen Wald aus der Seele geschrien – und hat gesiegt.
„Natürlich hab ich gehadert, hab nicht verstanden, warum gerade mir das passiert“, sagt Schiele. „Ich hab nach Auslösern gesucht, mir überlegt, wann ich wem vielleicht mal Unrecht getan hab.“Die Diagnose kam, nachdem er vier Mal in vier Wochen zusammengeklappt war: Krebs im fortgeschrittenen Stadium, sofortige Operation. Danach folgte eine qualvolle Zeit. Während seiner RadioJod-Therapie musste Roman Schiele streng isoliert hinter einer Bleitüre untergebracht werden, fast ohne Kontakt zur Außenwelt, um niemanden der Strahlung auszusetzen. „Ich hatte Nebenwirkungen wie bei einer Chemo“, erinnert er sich. „Schmerzen in allen Knochen. Es ging mir körperlich und seelisch extrem schlecht.“
Zwischen den wiederholten Operationen und Behandlungszyklen durfte er nach Hause. „Vor meiner Familie, die fest zu mir stand, hab ich mich zusammengerissen. Aber auf Spaziergängen mit meinem Hund hab ich mir alles von der Seele geschrien. Und wenn es mir schlecht ging, ist er keinen Schritt von meiner Seite gewichen.“
Obwohl Schiele längst mit dem Leben abgeschlossen, alles für die Zeit nach seinem Tod geregelt hatte, kam es anders. „Eines Tages waren die Metastasen plötzlich verschwunden. Keine Ahnung warum. Da wusste ich, ich kann es schaffen.“
Ein halbes Jahr noch ... so hatte es 2008 geheißen. Was für ein Gefühl, diese bedrohliche Frist längst hinter sich gelassen zu haben! Roman Schiele ist immer noch da. Er ist gesund, arbeitet als Stellvertretender Geschäftsführer der Schweinspointer Stiftung St. Johannes, hat die Hochzeiten seiner Kinder miterlebt, ist Opa und erwartet in Kürze die beiden nächsten Enkelkinder. Er steht wieder mitten im Leben. Und doch ist es ein anderes, ein bewussteres Leben. Roman Schiele hat es reduziert, lebt weniger Oberflächlichkeiten, hat eine Selbsthilfegruppe gegründet. Und er spürt Tag für Tag dankbar: „Verdammt noch mal, geht’s mir gut!“