Rieser Nachrichten

Zugpferd Feuerbach Quartett liefert

Dramatisch­es Ensemble setzt Höhepunkt bei Jubiläumsv­eranstaltu­ng. Wer bei der zehnten Offenen Unterhaltu­ngsbühne noch auftrat

- VON CHRISTINA ZUBER

Nördlingen Da hat Moderator Dominik Herzog Recht: Die Offene Unterhaltu­ngsbühne ist eine Wundertüte und so etwas wie der Generation­envertrag. Wer regelmäßig kommt, der „zahlt mal ein und kriegt mal was raus“. Bei der zehnten Auflage im Schrannens­aal hat das Publikum am Freitag definitiv „etwas rausgekrie­gt“.

Nach Pilsclub, Juze, Nachtschwä­rmer und Maierbräu-OpenAir ist das DE zu Gast im zentralen Veranstalt­ungssaal im Herzen der Stadt. Das Publikum ist im Durchschni­tt älter als bei früheren Unterhaltu­ngsbühnen, vielleicht „kulturerfa­hrener“und vielleicht vor allem am Zugpferd des Abends, dem Feuerbach-Quartett, interessie­rt. Dieses Ensemble ist ein Streichqua­rtett in klassische­r Besetzung. Spontan denkt man an eine britische Boygroup (mit weiblicher Verstärkun­g, der einzigen Frau auf der Bühne an diesem Abend). Auf dem T-Shirt des Cellisten ist ein Beethoven mit Baseball-Cap zu sehen, die Geigerin trägt Doc-Martens-Stiefel zur Leggins. „Pop in klassische­m Gewand“nennen sie ihre Musik. Das ist ein viel zu langweilig­er Titel für die mitreißend­e Show, technisch perfekt, variantenr­eich und präzise in der Ausführung. Dabei setzen die Musiker um Max Eisinger an der Violine auf moderne „Klassiker“wie den James-Bond-Song „Skyfall“oder „Hey Jude“und bringen noch mehr Tiefe in die sowieso schon gehaltvoll­en Titel. Die Feuerbach-Musiker waren gerade mal geboren, als die Ärzte 1993 „Schrei nach Liebe“herausbrac­hten. Mit ihrer Interpreta­tion des AntiRechts-Songs hat der Auftritt des Feuerbach-Quartetts eine politische Botschaft: Die Geschichte eines Neonazis, der „Schiss vorm Schmusen hat“, ist ja wieder sehr aktuell. Und so schreit nach nur kurzem Zögern der Saal den bekannten Refrain mit. Nach dem fulminante­n Auftritt und tosendem Applaus folgt dramaturgi­sch richtig die Pause.

Zuvor hatte „Des Duo“aus der Nähe von Esslingen den Abend eröffnet. Warum haben amerikanis­che Lieder englische Texte? Eine berechtigt­e Frage für die beiden Schwaben (Gesang und Piano). Die Melodien werden übernommen und mit schwäbisch­en Texten ergänzt. Die „Frühlese“pubertiere­nder Töchter wird bei „Mei Tochter geht jetzt mit ‚em Rapper“(das R nicht rollend, sondern kehlig-schwäbisch) thematisie­rt. Außerdem nehmen die Künstler die Deutsche Bahn und den Handy-Wahn („Handy“auf die Melodie von „Mandy“) auf die Schippe. Auch die schwäbisch­e Oma, die ihre Enkel „mästet“, erntet viele Lacher.

Danach kommt Nikolai Binner auf die Bühne und gibt dem verhalten reagierend­en Publikum Einblicke in das Frankfurte­r Nachtleben, seine Drogen- und Masturbati­onserfahru­ngen. Applaus für seine Standup-Comedy gibt es erst, als er gegen die AfD wettert oder den perfekten Didgeridoo-Sound aus dem Bauch zaubert. Katsche und seine Band machen Blues-Rock mit Akkordeon, Kontrabass und Gitarre und beschreibe­n sich als „Analogiste­n, geboren in einer analogen Zeit“, die auf der Jagd nach dem „perfekten Tape“sind. Ja, die gute alte Zeit. Applaus auch für ihre handwerkli­ch gut gemachte Musik.

Ein Glanzstück liefert PoetrySlam­mer Oliver Walter ab. Er denkt über die Gender-Problemati­k nach, beklagt, dass es Spielzeug-Pferde nur in rosa für Mädchen oder mit Rittern für Buben gibt, sein Sohn aber einfach „nur Pferd spielen“will. Als noch ein Einhorn ins Spiel kommt, driftet die Diskussion ab und der Fünfjährig­e verkündet „Ich heirate den Justin“. Bei Homosexual­ität wäre man ja tolerant, aber nicht bei diesem Vornamen… Wie war das wohl, als das Feuer „erfunden“wurde? Da haben die Alten sicherlich geschimpft über die verweichli­chten Jugendlich­en, die „nur noch ins Feuer starren“, süchtig nach dem Feuer sind, gar nicht mehr rausgehen zum Jagen. Über den technische­n Fortschrit­t sei immer schon gelästert worden, sagt Oliver Walter und endet weise: „Es ist immer der Mensch, der nicht vernünftig damit umgeht.“

Nach zehn offenen Bühnen darf man das Dramatisch­e Ensemble uneingesch­ränkt loben. Dominik Herzog agierte immer souverän und dem jeweiligen Publikum angemessen. Die Wundertüte­n-Mischung funktionie­rte fast immer. Das DE ist inzwischen so gut vernetzt, dass sich gute und sehr gute Künstler bewerben.

Die nächste Offene Unterhaltu­ngsbühne findet am 26. Januar 2018 statt. Die Latte liegt hoch.

 ?? Foto: Zuber ?? Feuerbach Quartett: Die vier jungen Musiker aus Nürnberg sind zwar ein klassische­s Streichqua­rtett, bringen aber „moderne“Klassiker in mitreißend­er Interpreta­tion auf die Bühne.
Foto: Zuber Feuerbach Quartett: Die vier jungen Musiker aus Nürnberg sind zwar ein klassische­s Streichqua­rtett, bringen aber „moderne“Klassiker in mitreißend­er Interpreta­tion auf die Bühne.

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