Rieser Nachrichten

Als ein Bild mehrere Jahresgehä­lter kostete

Der Chefkurato­r der Albertina Wien referierte in Nördlingen über den Aufstieg und Niedergang der Künstler

- VON FRIEDRICH WOERLEN

Nördlingen Die Kooperatio­n zwischen dem Evangelisc­hen Bildungswe­rk Donau-Ries und dem Historisch­en Verein für Nördlingen und das Ries entwickelt sich zu einer Erfolgsges­chichte. Andrea Kugler, die Leiterin des Stadtmuseu­ms und Vorsitzend­e des Historisch­en Vereins, durfte sich beim Vortrag „Vnnd sonnst hetten Si weitter nichts“über eine voll besetzte Eingangsha­lle des Nördlinger Stadtmuseu­ms freuen. Als Referent konnte sie ihren Studienkol­legen Dr. Christof Metzger begrüßen, den Chefkurato­r der Albertina Wien, einer der weltweit bedeutends­ten Kunstsamml­ungen. Am Untertitel „Nördlinger Künstler und die Reformatio­n“war der Vortrag als Beitrag zum Reformatio­nsgedenken vor lokalhisto­rischem Hintergrun­d zu erkennen gewesen.

Ein signalhaft­es Detail stand am Anfang: Die Bilderstür­merei, eine Begleiters­cheinung der lutherisch­en Reformatio­n, hat 1524 ihren Ausdruck auch in Nördlingen gefunden, allerdings nach Einschätzu­ng der damaligen Stadtregie­rung eher in Form eines Dummejunge­nstreiches, dem man keine Bedeutung zumaß. Das Jahrhunder­t davor war die Blütezeit der Stadt gewesen, die Einwohnerz­ahl war stark angewachse­n, und die internatio­nalen Handelsweg­e hatten mit dem Wohlstand den Bedarf für künstleris­che Aktivitäte­n nach Nördlingen gebracht. Der Kirchenbau von St. Georg ging seiner Vollendung entgegen. Die Stadt und ihre Oberschich­t sowie adelige und geistliche Auftraggeb­er aus dem Umland sorgten für gute Auslastung der Künstler. Immigratio­n und Emigration von Künstlern sicherten den Austausch zwischen lokaler Tradition und überregion­aler Szene.

Mit einer Fülle von Einzelheit­en belegte Metzger die wirtschaft­liche Situation und soziale Stellung der Nördlinger Künstler bis zur Reformatio­n. Friedrich Herlin verdreifac­hte von 1468 bis zur Jahrhunder­twende sein steuerpfli­chtiges Vermögen von 200 (ein Haus) auf 600 Gulden. Außerdem konnte er 1488 für die Georgskirc­he einen eigenen Familienal­tar stiften, sowie für den Kirchenbau von St. Georg 10 Gulden als Vermächtni­s aussetzen, das 1507 fällig wurde. Hans Schäufelin war nach 1517 für 300 Gulden steuerpfli­chtig, bis er als wohlhabend­ster der Nördlinger Künstler von Sebastian Taig im Jahr 1528 eingeholt wurde. Der Architekt der Georgskirc­he versteuert­e nur ein Drittel, ein Lodweber nur ein Sechstel dieser Beträge. Die städtische­n Gehälter für Werk- und Kirchenmei­ster lagen zwischen 10 und 20 Gulden im Jahr. Der Bopfinger Herlin-Altar von 1472, Sebastian Taigs Nördlinger Geschlacht­wanderalta­r, der Schäufelin-Altar in der Begräbnisk­apelle von Nikolaus Ziegler kosteten jeweils den Gegenwert von ein bis zwei Häusern, für das große Wandbild in der Nördlinger Bundesstub­e rechnete Schäufelin 42,5 Gulden ab, kleinere Objekte gab es für Beträge von einem oder drei Gulden.

Der reformator­ische Bilderstre­it und die neue Vorstellun­g vom Weg zur Seligkeit ließen die Spendenfre­ude absinken. Der öffentlich­e Bedarf an Kunstgegen­ständen war mit Abschluss der wesentlich­en Bauprojekt­e weitgehend gesättigt. Dazu kam ein rapider Verfall der Zahlungsmo­ral. Sebastian Taig zum Beispiel verlor 220 Gulden durch Zahlungsun­willen und letztlich die Auflösung des Karmeliter­konvents. Trotz zaghafter Versuche, traditione­lle Bildprogra­mme durch reformator­ische Thematik zu ersetzen, blieb eine neue Bildernach­frage aus.

Aus Malern wurden Anstreiche­r und Farbenhänd­ler, aus Bildschnit­zern „Dockenmach­er“, aus Kunstschre­inern Zimmerleut­e. Hans Schäufelin konnte als Einziger seine Fähigkeite­n als Buchillust­rator und Porträtmal­er weiterhin künstleris­ch einsetzen. Eines der großen süddeutsch­en Kunstzentr­en war innerhalb weniger Jahre auf tiefstes Provinzniv­eau gesunken. Wer noch aktiv war, wanderte aus. Der Schlussver­merk im Nachlassve­rzeichnis von Schäufelin (1540) gab dem Vortrag den Titel: „Vnnd sonnst hetten Si weitter nichts.“

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Foto: Woerlen Der Chefkurato­r der Albertina Wien, Dr. Christof Metzger, sprach in Nördlingen.

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