„Die Alten werden entsorgt“
Interview Thomas Thieme, 69, gehört zu den wandlungsfähigsten Schauspielern Deutschlands. In seiner neuen Rolle glänzt er als pensionierter Kommissar. Warum er mit dem Brecht-Festival in Augsburg noch eine Rechnung offen hat
Sie haben schon Uli Hoeneß gespielt, Helmut Kohl, den Hitler-Vertrauten Martin Bormann. Jetzt, in „Der namenlose Tag“, der heute Abend gesendet wird, mimen Sie den Kommissar Jakob Franck, einen Polizeibeamten im Ruhestand. Was ist schwieriger, eine Romanfigur oder eine echte, zeitgeschichtliche Figur zu spielen?
Für mich ist das ziemlich egal. Eine Rolle ist eine Rolle. Das spielt bei der Darstellung keine Rolle.
Muss man sich bei lebenden Zeitgenossen nicht anders vorbereiten? Eine Romanfigur spielt man doch aus dem Kopf, und Hoeneß ist halt Hoeneß. Thieme: Ja, bei Hoeneß und Kohl beispielsweise musste man schon ein bisschen recherchieren. Man darf aber auf keinen Fall anfangen zu kopieren. Wer das tut, der hat verloren.
Gibt es noch jemanden, den Sie gerne spielen möchten?
Thieme: Ja, Winston Churchill. Ich habe gerade Ausschnitte gesehen mit dem großen Gary Oldman als Churchill, der ja auch für den Oscar nominiert ist. Und da habe ich mir gedacht, Gary Oldman ist der Einzige, dem ich außer mir gestatte, Churchill zu spielen.
Oscarpreisträger Volker Schlöndorff führt in dem neuen Krimi Regie, und der Autor Friedrich Ani erhielt für „Der namenlose Tag“den Deutschen Krimipreis. Was ist das Besondere an dem Film, in dem ein pensionierter Kriminalkommissar einen alten Fall rund um eine junge Frau, die sich erhängt hat, wieder aufrollt?
Thieme: Das ist eine sehr spezielle Figur, ein Mann, den es auch im Ru- hestand nicht loslässt, was vor Jahren passiert sein muss.
Wie haben Sie Schlöndorff wahrgenommen? Was macht den Mann so besonders?
Thieme: Schlöndorff lässt dich als Schauspieler vollkommen in Ruhe und vertraut dir. Man fühlt sich bei Schlöndorff als Schauspieler so unglaublich sicher.
Sie kommen ja vom Theater ... Thieme: … aber meine Theaterzeit ist längst vorbei. Ich habe sie allerdings vor ein paar Jahren in Augsburg beim Brecht-Festival noch einmal reaktiviert. Leider, wenn die Neuen kommen, werden die Alten beiseitegeschoben. Die werden dann entsorgt…
Das klingt bitter. Wie meinen Sie das? Thieme: Da gibt es heute den Herrn Wengenroth als Festivalleiter, dem habe ich voriges Jahr Brechts „Puntila“in der Reihe der anderen BrechtStücke „Baal“und „Galilei“angeboten. Das hätte sehr gut gepasst. Und der hätte ja sagen können: ,Ach Thomas, ich habe einen anderen Plan, ich glaube, das passt nicht.‘
Und was hat Patrick Wengenroth, der das Festival seit 2016 leitet, gesagt? Thieme: Ich habe ihm geschrieben und der hat überhaupt nicht geantwortet. Aber der passt in diese Generation der jungen Regisseure, die alten haben einem alle geantwortet, und wenn es nur der Satz war: „Wir können Sie nicht gebrauchen und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute!“
Wie sind Ihre Erinnerungen an Augsburg? Thieme: Es ist einfach die Stadt von Brecht. Und ich war in dem kleinen Brecht-Haus, da unten in der Altstadt am Wasser. Und ich war auch in der Klauckestraße, wo er später gewohnt hat. Augsburg war einfach eine schöne Zeit.
Von Ihnen ist auch der Satz überliefert: „Ich halte es bei Auszeichnungen mit dem großartigen Billy Wilder, der sagte: Preise sind wie Hämorrhoiden – irgendwann kriegt sie jedes Arschloch.“Haben Sie ein gestörtes Verhältnis zu Preisen, von denen Sie nun auch schon einige überreicht bekamen? Thieme: Der Oscar würde doch vollkommen reichen. Was sollen denn diese ganzen lächerlichen Preise in Deutschland. Das ist ja eine Inflation. Wenn ich böse wäre, würde ich sagen: Du findest ja kaum mehr einen einigermaßen brauchbaren Schauspieler, der noch keinen Preis hat.
Wieso meiden Sie rote Teppiche wie der Teufel das Weihwasser?
Thieme: Da gehen Leute über diese roten Teppiche, die habe ich in meinen ganzen Leben noch nicht auf einer Bühne oder vor der Kamera gesehen. Früher waren da Romy Schneider, Curd Jürgens oder Horst Buchholz. Selbst in der Zeit vom „Boot“mit Wolfgang Petersen war der rote Teppich noch etwas wert. Doch was da jetzt ausgebrochen ist, das ist ja die Muppet Show.
Ihre Ausreise aus der DDR 1984 haben Sie begründet mit dem Satz „Ich bin nicht vor Repressionen geflohen, sondern vor der Bevölkerung“. Wie haben Sie denn das gemeint?
Thieme: Ich weiß nicht, ich bin immer schon eher vor Menschen geflohen als vor Systemen. Wahrscheinlich bin ich nicht so richtig kompatibel mit den Leuten. Ich will nicht sagen, dass ich auf meine alten Tage zum Misanthropen werde, aber ich kann nicht von meinem geliebten Publikum reden. Ich liebe es nicht, aber ich akzeptiere es. Zum Lieben sind die Leute im Publikum zu verschieden.
Ursprünglich, so heißt es, wollten Sie Architekt werden. Warum sind Sie Schauspieler und nicht Architekt geworden?
Thieme: Ganz einfach. Weil die mich nicht genommen haben.
Interview: Josef Karg O Der Kriminalfilm „Der namenlose Tag“mit Thomas Thieme in der Haupt rolle wird heute Abend um 20.15 Uhr im ZDF gesendet.