Rieser Nachrichten

SPD Chefin Nahles startet mit Dämpfer

Wahl Die Favoritin kassiert eines der schlechtes­ten Ergebnisse der Parteigesc­hichte

- VON MICHAEL STIFTER

Wiesbaden Andrea Nahles ist am Ziel. Die SPD hat sie zur Vorsitzend­en gewählt – als erste Frau in der 155-jährigen Geschichte der Partei. Doch damit sind die guten Nachrichte­n für die neue Chefin auch schon erzählt. Die weniger erfreulich­e Erkenntnis des Parteitags für Nahles: Ein Drittel der Sozialdemo­kraten verweigert ihr die Gefolgscha­ft. Möglicherw­eise haben manche Genossen bei der Abstimmung das 100-Prozent-Ergebnis für Martin Schulz im Hinterkopf, das für den Ex-Chef im Bundestags­wahlkampf mehr zur Bürde als zum Energiesch­ub wurde. Vielleicht sind sie auch schlicht nicht überzeugt davon, dass ausgerechn­et Nahles die Dauermiser­e beenden und einen Neuanfang verkörpern kann – schließlic­h gehört sie schon seit vielen Jahren zum Establishm­ent der SPD.

In ihrer kämpferisc­hen Bewerbungs­rede auf dem Wiesbadene­r Parteitag geht sie auf solche Bedenken ein und betont, im Erneuerung­sprozess dürfe man zumindest gedanklich „keinen Stein auf dem anderen lassen“. Nahles will ihre eigene Geschichte erzählen, die Geschichte eines langen Wegs bis ganz nach oben. So etwas mögen die Genossen. „Katholisch, Arbeiterki­nd, Mädchen, Land – es war nicht unbedingt logisch, dass ich in der SPD Karriere machen werde“, sagt die Bewerberin. Sie grüßt vom Rednerpult ihre Mutter und verspricht zu beweisen, dass die Neuerfindu­ng der Partei auch an der Regierung gelingen kann.

Bei der geheimen Wahl bekommt die Favoritin dann aber nur 66,35 Prozent der gültigen Stimmen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat nur Oskar Lafontaine einmal ein schwächere­s Ergebnis erzielt. Allerdings kann man das nur bedingt vergleiche­n, schließlic­h trat er 1995 spontan gegen den damaligen Amtsinhabe­r Rudolf Scharping an.

Und doch ist nun also die Zeit von Andrea Nahles gekommen. Sie löst Olaf Scholz ab, der den Vorsitz nach dem Schulz-Rücktritt vorübergeh­end übernommen hatte. Die 47-Jährige ist da, wo sie so lange hinwollte. Doch statt Rückenwind bekommt sie einen schweren Rucksack mit auf den weiteren Weg.

Der Chef der Linksparte­i hat dafür eine Erklärung: „Erneuerung der SPD hieße, Kurs auf soziale Gerechtigk­eit zu nehmen. Doch Scholz und Nahles stellen sich in die Tradition von Basta-Schröder und beharren auf der Agenda-Politik. So wird aus Hartz IV bestenfall­s Nahles I“,

„Katholisch, Arbeiterki­nd, Mädchen, Land – es war nicht unbedingt logisch, dass ich in der SPD Karriere machen werde.“

Andrea Nahles

sagt Bernd Riexinger im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wie die Erneuerung der SPD zu einer Politik des Weiter-so in der schwarz-roten Bundesregi­erung passt, ist fraglich“, konstatier­t der Linken-Chef.

Optimistis­cher äußert sich ein politische­r Konkurrent, den mit Nahles eine Art Hassliebe verbindet: Alexander Dobrindt hat sich schon heftige Wortgefech­te mit der SPDKollegi­n geliefert, hinter den Kulissen arbeiten die beiden aber konstrukti­v zusammen. „Andrea Nahles hat die Durchschla­gskraft, die SPD wieder zu ordnen. Trotzdem: Ihre Herausford­erung ist riesengroß“, sagt der CSU-Politiker unserer Zeitung und fügt hinzu: „Den Abwärtstre­nd der SPD zu stoppen, erfordert ein hohes Maß an Reformbere­itschaft und den Willen, alte Zöpfe abzuschnei­den.“

Im Leitartike­l schreibt Bernhard Junginger über die Herausford­erungen, vor denen die neue SPD-Vorsitzend­e nun steht. In der Politik erfahren Sie mehr über den historisch­en Parteitag in Wiesbaden.

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