Der Opernstar aus Hainsfarth
Sabine Scheller referiert in Oettingen über ihren Urgroßvater Theodor Hallermayer, der vom Ries aus die Bühnen der deutschsprachigen Welt eroberte
Oettingen Schade, dass es keine TonAufnahmen aus den 1860er- und 1870er-Jahren gibt. So müssen sich die Zuhörer von Sabine Scheller auf die schriftlichen Zeitdokumente verlassen: Die Stimme des Theodor Hallermayer, geboren 1839 in Hainsfarth, muss grandios gewesen sein.
„Ein ganz besonderes Timbre“wird ihm da in einer Zeitungskritik bescheinigt. Ein großer seines Fachs war er – da waren sich die Kritiker im 19. Jahrhundert einig. Tannhäuser, Lohengrin, Troubadour und noch dutzende mehr: Alle großen Rollen auf Opernbühnen hatte der Star-Tenor im Repertoire. Er spielte in Karlsruhe, Königsberg, Köln, Darmstadt und in Österreich auf den großen Bühnen. Dabei war sein vorgezeichneter Weg ein ganz anderer: Wie quasi alle Hallermayers hätte auch Theodor den Beruf des Lehrers ergreifen sollen und können.
Beim Vortrag im Rahmen der Rieser Kulturtage in der Oettinger Volkshochschule geht Sabine Scheller nicht nur auf den großen Sohn der Familie ein, sondern stellt die Hallermayers als eine große LehrerFamilie vor. Im 18. Jahrhundert gab es noch keine fest vorgeschriebene Ausbildung für Lehrer, man wurde für die Tätigkeit angelernt. Wichtig war zu allererst die Bibelfestigkeit des Lehrers. Lesen, Schreiben und Rechnen waren von untergeordneter Bedeutung. Auch fielen das Orgelspiel und die Mesnerdienste in den Aufgabenbereich eines Dorflehrers. „Lehrer waren Hungerleider“, sagt Sabine Scheller. Ein Lehrer konnte nur schwer eine Familie ernähren. Als 1802 die Schulpflicht eingeführt wurde, wurde auch die Lehrerausbildung professionalisiert. Es entstanden „Institute“zum Beispiel in München und Dillingen.
Zuvor waren schon viele Hallermayers Lehrer. Bartholomae Hallermayer starb 1723 in Gnotzheim, sein Sohn Franz Anton war Lehrer in Gnotzheim, ihm folgte Josef. Johann Kaspar Hallermayer, Jahrgang wurde Lehrer in Megesheim, Franz Anton, Jahrgang 1736, war als Lehrer in Donaumünster tätig. Dessen Sohn Josephus Hallermayer, geboren 1763, war der erste Lehrer mit „ordentlicher“Ausbildung in der Familie. Er trat seinen Dienst in Hainsfarth an.
In Hainsfarth war die Schule lange Zeit neben der Kirche. Bis im Jahr 1839 ein Streit um den „Abtritt“, also die Schultoilette entbrannte. Friedhofsbesucher fühlten sich gestört, wenn sie an dem KloHäuschen vorbeilaufen mussten. Im Jahr 1863 wurde die Schule schließ- lich in die Jurastraße verlegt. Theodor Hallermayer wurde 1839 in Hainsfarth geboren. Auch er sollte nach der Schulzeit eine Ausbildung zum Lehrer durchlaufen. Dort fiel er auf – und zwar durch seine Stimme. Er erhielt ein königliches Stipendium und wurde zum Tenor ausgebildet. Als Lehrer hat er nie gearbeitet. Stattdessen war er auf den Opernbühnen in Deutschland zu sehen. Eine Kiste mit handgeschriebenen Gesangspartituren konnte Sabine Scheller noch vom Wertstoffhof retten, so dass die Besucher die Aufzeichnungen des Star1734, Tenors durchsehen können. Angestellt war Theodor Hallermayer vor allem am Stadttheater Karlsruhe, Gastspiele gab er in ganz Deutschland. Plakate kündigen ihn in Stettin, Weimar und Baden-Baden an. Viele dieser Original-Plakate sind im Familienbesitz.
Als Rieser zog es Hallermayer immer wieder in seine Heimat. Auch wenn er viel auf Tournee war, war Hainsfarth sein Fixpunkt, wo sein Bruder zwischenzeitlich in einen Bauernhof eingeheiratet hatte. Auch seine Ehefrau Karolina, eine Bankierstochter aus Darmstadt, brachte er mit nach Hainsfarth. Sie wohnte beim Bruder, wenn Hallermayer auf Gastspiel-Reisen war. „Das muss schon ein Kulturschock gewesen sein“, sagt Sabine Scheller schmunzelnd. Die Evangelische aus der Großstadt hatte sich bei den katholischen Hallermayers gut integriert und sich in Hainsfarth auch wohlgefühlt, denkt Sabine Scheller. Bei der Geburt des sechsten Kindes im Jahr 1879 starb Karolina. Sie wurde zusammen mit dem katholischen Kind beerdigt, „wahrscheinlich die erste ökumenische Beerdigung in Hainsfarth“. Hallermayer heiratete zwei Jahre später Walburga Hertle aus Schwörsheim, mit der er neun Kinder hatte. Die Tochter Eugenie heiratete später Max Scheller, den Großvater der Referentin.
Sabine Scheller, die in Kempten lebt, belegte ihre Ausführungen mit zahlreichen Zeitdokumenten, mit Zeugnissen ihrer Hallermayer-Vorfahren und mit vielen Zeitungsartikeln und Plakaten, die den großen Star aus Hainsfarth ankündigten. Mehr als zehn Jahre konnte kaum ein Künstler die stimmliche Kraft für die großen Säle aufbringen. Theodor Hallermayer schaffte noch ein paar Jahre mehr. In einer Zeit ohne Mikrofon und Verstärker eine beachtliche Leistung.
Trotz allem blieb Theodor Hallermayer bodenständig, steckte die Bühnenhonorare in eine Immobilie in Hainsfarth und richtete einen Krämerladen ein. Als seine große Zeit vorbei war, hatte er fürs Alter vorgesorgt.