Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (50)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch.
Das ist doch Gnade, das Geld, das wir am Sonnabend kriegen. Wir arbeiten doch gar nicht richtig!“„Na, weißt du“
„Ich weiß schon, was man machen müßte. Drei, vier Kerls, die stiekum sind, und ein paar Kröten. Ich spare schon wie wild, aber der Pfaffe, der Marcetus, sagt ja, mehr als drei Mark soll man möglichst nicht den Tag verdienen, mehr verführt zur Liederlichkeit.“
„Na, glaubst du, daß der nur drei Mark am Tage verdient?“
„Eben! Verdienst du je mehr als zwanzig Mark die Woche? Mal einundzwanzig, mal zweiundzwanzig, wenn du dir die Finger wund schreibst, aber da ziehen sie schon Gesichter und möchten die Löhne am liebsten wieder runtersetzen. Ich, ich wohne mit einer zusammen. Verkäuferin, kriegt fünfundsechzig Mark im Monat – was kann man da viel sparen?“
„Glaubst du, daß man mit hundert Mark im Monat leben kann?“fragt Kufalt ängstlich.
„Aber sicher! Aber gut kannst du das! Was gibst du für’s Zimmer?“„Fünfundzwanzig.“
„Viel zuviel. Ich besorg’ dir eins mit fünfzehn. Mit zwölf. Was brauchst du denn schon? Bett und Stuhl, alles andere ist doch nur Quatsch, wenn man vorwärtskommen will. Machst die Bude selber sauber, unterm Dach irgendwo. Nun paß auf: Essen morgens und abends zusammen fünfzig Pfennige, mittags noch mal fünfzig Pfennige …“
„Es gibt doch keinen Mittagstisch für fünfzig Pfennige!“
„Mittagstisch? Willst du jeden Tag warm fressen? Wer tut denn so was heute noch? Brot, Margarine, ein Bückling, ein halber Liter Milch, damit kommst du fein durch, fällst nicht von Kräften und der“– Handbewegung – „steigt dir nicht zu Kopfe. Sonntags kannst du ja warm essen, neunzig Pfennige höchstens. Also fünfzehn Mark Miete, fünfunddreißig Mark Essen höchstens, Wäsche vielleicht fünf Mark, dann noch mal fünf Mark für Rauchen, Kino, und das alles macht zusammen im Monat sechzig Mark. Vielleicht kann ich dir auch ein Mädchen besorgen, das ein bißchen was verdient. Dann fällt noch die Wäsche weg und die Miete geht auf Kippe.“
„So machst du das“, sagt Kufalt bewundernd und fest entschlossen, es nicht so zu machen.
„Wie soll man es denn sonst machen? Überleg es dir und, wenn du willst, sag mir Bescheid, ich such’ dir dann ein Zimmer.“
Der Zug hält, Leute steigen aus und ein. Der Zug fährt wieder an.
„Sag mal“, sagt Kufalt zögernd, „hast du nicht mal dran gedacht, daß man ja viel leichter zu Geld kommen kann?“
Stille.
Dann sagt Maack zögernd: „Ja, Kumpel, da denken wir natürlich immer daran. Und verreden will ich es nicht. Ich gehör’ nicht zu den Brüdern, die immer ,nie wieder‘ schreien. Was weiß ich, was passiert? Wenn mein Mädel mir abhaut, weil so ein reicher Stubben sie ködert, oder es schnappt mal. Das ist doch auch so ein Mist, daß der Gummi viel zu teuer für unsereinen ist. Dann fasse ich vielleicht wieder was an. Aber sonst – ausgeschlossen, den Laden kenne ich nun.“
„Aber was hast du denn von deinem Leben? Alles Nette kostet Geld und du kriegst nie was.“
„Ich verrede es ja nicht, ich sage, ich weiß auch nicht, ob ich es durchhalte. Aber vielleicht kriecht man wirklich mal wieder unter in einem Geschäft mit hundertvierzig oder hundertsechzig. Vorläufig versuch’ ich es weiter auf diese Tour …“
„Nun, meine lieben Freunde, haben Sie den Hafen im Sonnenschein gesehen? Die Cap Arcona lag da, nicht wahr? Welch schönes Schiff! Da ist man doch stolz, daß man ein Deutscher ist!“
„Jawohl, Herr Seidenzopf.“„Und nun, meine Lieben, führe ich Sie in unsere Schreibstube Presto. Machen Sie dem Friedensheim Ehre. Zeigen Sie sich würdig der Wahl.“Die brummeln etwas vor sich hin. Dann geht es eine Treppe in einem Bürohaus hinauf.
„Schreibstuben Presto – Erledigung sämtlicher Schreibarbeiten – Unerreicht billig – Unerreicht schnell – Unerreicht genau.“
„Mein lieber Herr Jauch, hier bringe ich Ihnen zwei neue Schützlinge, die sich bereits bei mir bewährt haben. Herr Maack. Herr Kufalt. Nun, Sie haben die beiden schon bei mir gesehen.“
„Wieso zwei? Was soll ich mit zweien? Einen brauch’ ich, hab’ ich Ihnen gesagt. Immer machen Sie solche Geschichten! Aber natürlich, da heißt es, der Jauch, der Jauch wird das schon richten.“Der kleine Dicke, mit dem kahlgeschorenen Kopf, ganz übersät von Pickeln, Pusteln und Mitessern, stürmt auf und ab. „Können die überhaupt was? So sehen die nicht aus! Die haben Sie wohl los sein wollen? Na, Sie da, Sie, Sie! – ja, Sie meine ich, setzen Sie sich mal da an die Maschine! Haben Sie so ’ne Maschine schon mal gesehen? Ist ’ne Schreibmaschine, wissen Sie! Zum Schreiben, verstehen Sie! Mit Durchschlag, normalzeilig, ich diktiere. Mein Gott, mein Gott, mein Gott, mein himmlischer Heervater, wie spannen Sie das denn ein?! Heißt das Einspannen? Zwei Millimeter sitzt der Bogen mindestens schief und die Verschiebung wächst proportional! Verstehen Sie das?“
„Ja“, flüstert Kufalt.
„Ja, sagt er, aber er hat keine Ahnung. Ich diktiere: Hamburg, am 23. Juli… Lieber Seidenzopf, was für ein Anschlag! Nehmen Sie den Mann wieder mit, hier brauchen wir perfekte Kräfte. Ich diktiere: Sehr geehrter Herr… Wo ist dann das ,S‘? Das schwebt ja, schlagen Sie die Taste gefälligst ordentlich an! Wie Maschinengewehrfeuer muß das klingen, wenn Sie schreiben. Sind Sie im Felde gewesen? Nein, natürlich nicht, wie sollen Sie da wissen, was Maschinengewehrfeuer ist?! Lieber Herr Seidenzopf, nehmen Sie den Mann wieder mit. Ich habe hier keine Schreibschule. Ausgebildete Kräfte brauche ich. Ich diktiere: Bezugnehmend auf Ihr Wertes vom 3. currentis… O Gott, o Gott, o Gott…“
„Lieber Freund Jauch! Meine Herren, ich bitte Sie, gehen Sie erst einmal in die Schreibstube, sehen Sie sich da um. Also hören Sie, lieber Jauch, Herr Pastor Marcetus wünscht…“
„Was für ein Schwein!“flüsterte Kufalt atemlos.
„Laß dich doch nur nicht aus der Ruhe bringen, du warst ja ganz nervös.“
„Wenn der Kerl ewig meckert!“„Laß ihn doch meckern, brauchst ja nicht hinzuhören!“
Sie sehen sich um. Eigentlich ist es genau dasselbe wie in der Apfelstraße. Nur etwas größer: nicht zehn, sondern zwanzig Maschinen, nicht zehn, sondern zwanzig Schreiber. Die Tür zu einem Nebenzimmer öffnet sich. Ein Mädchenkopf erscheint, dann noch einer. Sie betrachten ungeniert die beiden Neulinge und verschwinden wieder.
„Die Zibben sind neugierig“, flüstert Maack.
„Sind die auch wie wir?“
„I wo. Das sind ganz feine, mit unsereinem sprechen die überhaupt kein Wort. »51. Fortsetzung folgt