Vor dem Rassismus steht die Erfindung der Rassen
Das Hygiene-Museum in Dresden untersucht in seiner neuen Sonderschau ein brisantes Thema
Dresden Noch vor etwa 80 Jahren wurden Menschen aus fernen Ländern in Deutschland wie im Zoo vorgeführt. Das Publikum konnte sie auf „Völkerschauen“in landesüblicher Tracht beobachten – zum puren Amüsement. Die Idee dazu soll vom Hamburger Zoobesitzer Carl Hagenbeck stammen. Er organisierte 1874 Deutschlands erste große Völkerschau, der bis in die 1930er Jahre überall im Land noch etwa 400 weitere folgen sollten, wie die Publizistin Anne Dreesbach belegt. Im Deutschen HygieneMuseum Dresden bietet die Sonderausstellung „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“nun einen radikalen Perspektivwechsel. Auf alten Fotos sind dann nicht die „Exoten“zu sehen, sondern ihr deutsches Publikum. Die Aufnahmen gehören zu einer Schau über ein brisantes Thema: Rassismus.
Dabei geht es dem Museum in Dresden nicht vordergründig um alltägliche Ressentiments. Es hinterfragt vielmehr den Rassebegriff und Versuche, Rassismus wissenschaftlich zu begründen. Auf rund 800 Quadratmetern sind etwa 400 Exponate zu sehen. Dazu kommen Filme, Videos und Hörstationen. Kuratorin Susanne Wernsing stellt klar: „Es gibt keine Rassen. Rassen sind eine Erfindung des Menschen. Sie hat immer mit Abgrenzung zu tun.“Die Kuratorin sieht den Begriff in enger Verbindung mit dem Kolonialismus: „Das Ziel der Abgrenzung bestand darin, Kolonialismus und Ausbeutung zu legitimieren.“Die Sonderschau ist auch eine in eigener Sache. „Das HygieneMuseum hat zu NS-Zeiten eine üble Rolle als Propaganda-Institution gespielt“. Das Rassen-Denken begann aber nicht erst zur NS-Zeit, sondern besitzt eine lange Vorgeschichte. Der Rassebegriff taucht bereits im 18. Jahrhundert mit Beginn der modernen Wissenschaften auf. Expeditionen in entlegene Gebiete erbrachten den Beleg, wie unterschiedlich Menschen sein und aussehen können. Auch wenn die Französische Revolution die Gleichheit der Menschen propagierte, wurden Teile der Menschheit zu Sklaven gemacht. Später spielte das menschliche Verschiedensein beispielsweise in der Kriminalanthropologie eine Rolle. Im 19. Jahrhundert wurden mutmaßliche Straftäter bereits nach bestimmten Kriterien vermessen. Es entstand das Bild eines „Verbrechertyps“mit charakteristischen Gesichtszügen. „Es gab die Ansicht, man könne den Charakter eines Menschen am Gesicht erkennen“, sagt die Kuratorin. In die Physiognomie werde viel hineininterpretiert, auch in die Schädelform: „Es gibt eine ganz klare Norm, und die ist nach Apoll geformt: der weiße Mann.“Alles andere werde als Abweichung gesehen. Rasse sei mit Klassifizierung verbunden. Folglich würden Haut-, Augen- oder Haarfarben katalogisiert. Auch davon künden Exponate in der Dresdner Ausstellung. Dresden erwartet einen spannenden Disput.