Bis der Zug nach Auschwitz ging
In der ehemaligen Hainsfarther Synagoge stellt die Autorin Eva Umlauf ihr Schicksal vor
Hainsfarth Zwei Jahre war sie alt, als der Tätowierer in Auschwitz an ihrem Ärmchen eine Stelle aussuchte, wo er ihr die Häftlingsnummer einbrennen konnte. Dabei konnte sie noch von Glück sagen, dass sie dabei vor Schmerz in Ohnmacht fiel und nichts mehr davon mitkriegte und von Glück, dass sie nicht gleich ertränkt wurde, wie die meisten Babys, die in Auschwitz ankamen. Wenn man bei der ganzen Angelegenheit überhaupt von Glück reden konnte, war es das, dass die sowjetischen Flugzeuge schon über das Lager flogen und die Bewacher deshalb zwei Tage vor ihrem Eintreffen aus Novaky die Öfen stillgelegt hatten und bereits die Todesmärsche vorbereiteten. Alle Spuren sollten verwischt werden, die übrig gebliebenen Menschen weggetrieben werden und selbst wollten sie sich aus dem Staub machen, alles bestens organisiert, wie sie es schon vorher in ihrer Todesmaschinerie gewohnt waren.
„Es war der letzte Transport von Novaky (Slowakei), nach Auschwitz“, erzählte Eva Umlauf in der Hainsfarther Synagoge, „und der erste, der nicht direkt ins Gas ging.“„Die Slowakei war nicht von den Deutschen besetzt, sondern von den slowakischen Vasallen. Novaky war kein Vernichtungslager, dort waren Werkstätten. Unter anderem wurden Uniformen genäht. Es war für rund 1200 Juden eine Art Idylle im Schatten des Todes. Man konnte dort überleben – bis der Zug nach Auschwitz ging.“
Dort kam sie mit der schwangeren Mutter an, die dort ihre Schwester zur Welt brachte, während der Vater in ein anderes Lager kam und vermisst blieb. Mit den beiden Kindern schlug die Mutter sich nach der Befreiung durch die Russen bis in ihren Heimatort durch, wo sie ein schwieriges Leben fristen mussten, ohne Vater, ohne Großeltern, ohne Onkel, Tanten und Cousinen, alle waren ermordet worden. Nur sie waren übrig geblieben, gezeichnet von den Nummern auf ihren Unterarmen. Ein Bekannter schrieb für sie ein Gedicht mit den Worten: „Die Nummer auf deinem Unterarm ist so blau wie deine Augen.“Das wurde auch der Titel für das Buch, in dem Eva Umlauf ihr Schicksal schildert. Lange trug sie das mit sich, bis sie sich als 72-Jährige entschloss, ihre Erinnerungen preis zu geben. Anders als ihre Mutter, die die Erlebnisse dieser Jahre mit ins Grab genommen habe.
Die Eltern hatten geheiratet, in der Hoffnung, als Ehepaar von den Deportationen verschont zu bleiben. Bald musste die jüdische Familie aber auf Anordnung der slowakischen Regierung ins Lager Novaky, wo sie 1942 geboren wurde, immer mit der Bedrohung der Deportation in ein Todeslager. Immerhin habe es dort stets zu essen gegeben, während es in Auschwitz drei Monaten vor der Befreiung nur noch Hunger und Krankheit gab. Über die Lebensumstände in dieser Zeit hätte sie niemals, auch nicht nach ihrer Übersiedlung nach München, mit der Mutter sprechen können. Dort bekamen sie , und ihre Schwester die Möglichkeit zu studieren. Ihre Schwester sei Internistin geworden und sie selbst Kinderärztin und Psychotherapeutin. Lange habe sie den Gedanken, ein Buch zu schreiben, vor sich hergeschoben, bis sie durch Freunde ermutigt, sich dieser unerwartet mühseligen Arbeit verschrieben habe. Sie war damals ja ein kleines Kind und konnte nicht allein aus ihren eigenen Erinnerungen berichten.
Sigi Atzmon begleitete Eva Umlauf bei der Vorstellung dieses Buches durch Fragen nach ihren persönlichen Empfindungen. Dem schlossen sich weitere fragende Besucher an, wobei sich ein Mann meldete, der nach dem Krieg mit seiner Familie in Novaky interniert war. Die Deutschen seien, vermutlich aus Rache, von den Slowaken und Tschechen unter schlimmen Zuständen bis ins Jahr 1946 dort festgehalten worden, bis sie freigelassen wurden und in Oettingen eine neue Heimat gefunden hätten. Unterschiedliche Schicksale trafen sich in der Hainsfarther Synagoge.
OBuch „Die Nummer auf deinem Un terarm ist so blau wie deine Augen“von Eva Umlauf und Co Autorin Stefanie Oswalt, Hofmann und Campe, ISBN 978 3 455 50370 8