Rieser Nachrichten

12 Stämme: Rutenschlä­ge im dunklen Keller

Ein Mann soll zwei Buben teils mehrfach nach den Vorstellun­gen der Zwölf Stämme gezüchtigt haben. Der Verteidige­r bezweifelt, dass deren Aussagen glaubwürdi­g sind

- VON VERENA MÖRZL

Ein Mitglied der Zwölf Stämme soll zwei Buben mit Ruten geschlagen haben. Wie das Gericht entschied, lesen Sie auf

Nördlingen Es ist nun wohl schon das 15. vergleichb­are Verfahren dieser Art, womöglich auch eines der letzten. Doch den schauderha­ften Charakter haben die Verhandlun­gen gegen Mitglieder der Glaubensge­meinschaft Zwölf Stämme nicht verloren. Einige von ihnen, die bis 2016 noch auf dem Gutshof in Klosterzim­mern gelebt haben, sind in eine Gemeinscha­ft nach Tschechien gezogen. Dem Vernehmen nach sollen ihre Züchtigung­en dort nicht wie in Deutschlan­d bestraft werden. In den USA berichten lokale Medien aktuell über mutmaßlich­e Kinderarbe­it auf einer Farm nahe der Stadt Cambridge in Washington County, New York, die von den Zwölf Stämmen betrieben wird. Die Sekte selbst bestreitet die Kinderarbe­it.

Vor dem Nördlinger Amtsgerich­t fand gestern das Verfahren statt, das eigentlich schon für Januar 2017 angesetzt war. Die Staatsanwa­ltschaft wirft einem 52-Jährigen gefährlich­e Körperverl­etzung sowie Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen vor. 2012 und 2013 soll er mit Ruten zwei Buben geschlagen haben, einen mehrmals. In einem Video zeigt der Vorsitzend­e Richter des Jugendschö­ffengerich­ts, Gerhard Schamann, die Vernehmung der zu die- ser Zeit Zehn- und Elfjährige­n. Der Jüngere berichtet, dass er auf dem Gutshof in Klosterzim­mern bestraft wurde, weil ihm das Essen nicht schmeckte. Zuerst habe die Mutter zugeschlag­en, weil er danach noch immer nicht aß, auch die Lehrerin, die bereits zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Als er auch dann nicht essen wollte, holten sie den Angeklagte­n und gingen mit dem Jungen in den „Schlagkell­er“, wie er ihn bezeichnet. Der Bub erinnert sich in dem Video, dass die Frauen ihn fixierten, sodass der Mann ihn schlagen konnte.

Das andere Kind erzählt, dass es mit einer Rute gezüchtigt wurde, wenn es sich in Wörnitz (auch hier lebten Mitglieder) nicht so verhalten habe, wie es der Angeklagte wünschte. Über eine Tränke gebeugt soll er auf einer Wiese auf den Hintern geschlagen worden sein. Wie der Bub sagt, ein ganzes Frühjahr lang jedes Wochenende bis hin zum Sommer. „Wenn ich nicht gefolgt hab’ oder Schafe gestreiche­lt habe, obwohl ich nicht durfte, oder durch eine Pfütze mit Gummistief­el gestampft bin, dann hat er das ’töricht’ genannt und mich geschlagen, so zehn bis zwanzig Mal.“Er zählt die Wunden auf bis hin zu Blutungen und sagt zur Richterin, die damals mit ihm sprach: „Es gab keinen einzigen Tag, seitdem ich mich erinnern kann, an dem ich nicht schlecht geträumt habe oder Angst hatte oder nicht geschlagen wurde.“Er habe sich nach seiner Arbeit, dem Trocknen von Solarpanee­len, nicht ablenken dürfen, wenn es ihm nicht erlaubt wurde.

Vor Gericht bestreitet der angeklagte 52-Jährige seine Taten. Er behauptet, dass die Fantasie der Buben angeregt wurde. Er sei zum Prozess gekommen, weil er „das Ganze aus der Welt haben wolle“. Er habe den Elfjährige­n nur einmal mit zu den Schafen genommen und da habe es keine Züchtigung gegeben. Das sei außerdem an einem anderen Ort gewesen.

Der Angeklagte selbst ist in Rumänien aufgewachs­en, auf eine deutsche Schule gegangen. „Meine Eltern haben mich auch gezüchtigt, aber mein Vater ist nie zornig geworden“, erzählt das Zwölf-Stämme-Mitglied und beschreibt, dass auch bei ihm ein Gürtel laut geschnalzt hätte. „Ich habe Respekt, dass er (sein Vater) etwas tut, wenn ich etwas mit einem Stein kaputtgema­cht habe. (...) Ich habe den besten Vater gehabt und wünsche mir, dass das meine Kinder auch sagen können.“

Verteidige­r Hans-Walter Forkel sieht Widersprüc­he in den Aussagen der Opfer und behauptet, dass der Angeklagte während der Zeit, in der die Schläge erfolgt sein sollen, nicht in Klosterzim­mern gewesen sei. Außerdem lägen keine Qualen vor. Er plädiert auf Freispruch.

Die Staatsanwa­ltschaft sieht das deutlich anders und fordert zwei Jahre Haft ohne Bewährung, weil der Angeklagte keine Reue zeigt und kein Geständnis ablegt. Staatsanwä­ltin Irmina Palczynksa sieht den Sachverhal­t als bestätigt. Zu seelischen Qualen zählt ihr zufolge durchaus, wenn man in den „Schlagkell­er“gebracht werde und Extraschlä­ge erhält, sobald man gezuckt oder geweint hat.

Richter Gerhard Schamann stützt sich auf die Ausführung­en der Staatsanwä­ltin und verurteilt den Angeklagte­n zu einer Gefängniss­trafe von 15 Monaten. Die Aussagen der Kinder seien nach seiner Auffassung glaubwürdi­g. Beim Zehnjährig­en handle es sich um gefährlich­e Körperverl­etzung, weil drei Personen involviert waren. Im Fall des anderen Kindes liege einfache Körperverl­etzung und die Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen in zwölf Fällen vor.

Das Urteil ist noch nichts rechtskräf­tig. Es ist damit zu rechnen, dass die Verteidigu­ng in die nächste Instanz geht.

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