„Er sollte erwachsen werden“
Belgiens Ex-Torhüter Pfaff über den Brasilianer Neymar
Sie haben das Achtelfinale gegen Japan live im Stadion von Rostow erlebt. Haben Sie im Laufe der Partie Herzrasen bekommen?
Jean Marie Pfaff: Das kann man wohl sagen. Mir war schon bewusst, dass die Japaner uns viel abverlangen werden. Sie haben wie Samurais gekämpft und verdienen höchsten Respekt für ihre Leistung. In der zweiten Halbzeit offenbarte das belgische Team jedoch, was es kennzeichnet: hohe spielerische Qualität und eine eingeimpfte Siegermentalität. Ich betrachte das Spiel im Nachhinein als einen kleinen Aussetzer in diesem Turnier.
Insofern sehen Sie die „Roten Teufel“als gut gewappnet für die Partie gegen Rekord-Weltmeister Brasilien?
Pfaff: Ich bin optimistisch. Jedenfalls sehe ich die brasilianische Auswahl nicht als furchteinflößend an. Gewiss besitzen sie eine hohe Qualität und sind hungrig auf den Titel. Aber das ist unsere Mannschaft auch. Zudem gefällt mir die Spielweise der Brasilianer nicht. Das hat nichts mit dem „jogo bonito“gemein, das die Generation um Sokrates, Falcao und Zico fabrizierte.
Neymar stand bisher im Fokus der Berichterstattung, nicht immer wegen seiner brillanten Fähigkeiten, sondern seiner theatralischen Showeinlagen. Wie sehen Sie seine Auftritte?
Pfaff: Der Junge hat natürlich enormes Talent und einen phänomenalen Antritt. Er übertreibt aber bei jedem Foulspiel immens und lässt sich dann minutenlang behandeln. Dabei gehen die Schiedsrichter und die meisten Gegenspieler eher fürsorglich mit ihm um. Wenn ich bedenke, was früher Maradona oder Zico von ihren Bewachern auf die Füße bekamen, ist das jetzt Kinderkram. Es ist Zeit, dass Neymar erwachsen wird!
Wie haben Sie das Ausscheiden der deutschen Mannschaft und anderer vermeintlichen Favoriten wie Argentinien oder Spanien registriert?
Pfaff: Die Deutschen haben mich maßlos enttäuscht. Wahrscheinlich meinten sie, dass das Turnier für den Weltmeister ein Selbstläufer wird, so wie sie das immer gewohnt waren. Zudem habe ich mangelnden Einsatzwillen und Behäbigkeit erkannt, ganz zu schweigen von der fehlenden Kreativität. Wenn man gegen spielerisch limitierte Koreaner kein Gegenmittel parat hat und die Titelverteidigung als Ziel ausgegeben hat, muss vieles im Argen liegen. Argentinien ist kein Team. Es sind lediglich zehn Spieler und Messi, von dem verlangt wird, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Diesmal war er aber ganz neben seiner Rolle.
Sie haben an zwei großen Endspielen teilgenommen und beide verloren. Mit der Nationalelf 1980 das EM-Finale gegen Deutschland und später mit dem FC Bayern im Landesmeisterwettbewerb gegen Porto. Welche Niederlage nagt noch an Ihnen?
Pfaff: Zweifelsohne das Finale mit Bayern in Wien gegen die Portugiesen, das der Algerier Madjer mit seinem frechen Hackentor entschieden hat. Wir sind mit der falschen Einstellung nach Wien gefahren, als hätten wir quasi den Pott schon gewonnen und bräuchten ihn nur in Wien abzuholen. Da sieht man einmal mehr, was die Selbstgefälligkeit alles anrichten kann. Das EM-Finale 1980 in Rom war eine andere Geschichte. Deutschland war seiner Favoritenrolle gerecht geworden und hat verdient den Titel geholt.
Interview: Dimitrios Dimoulas