Rieser Nachrichten

„Wir hätten ihn so gern noch mal fröhlich gezeigt“

Als eine Mutter zum Gedenken an ihren toten Sohn eine Bilderscha­u im Gotteshaus präsentier­en will, wird ihr das verwehrt. Wie viel Gestaltung ist bei Trauerfeie­rn, Hochzeiten, Taufen möglich? Was sagt der Ortspfarre­r und was das Bistum?

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Landkreis Den sicher schwersten Weg ihres bisherigen Lebens hatte eine Mutter aus dem Landkreis Donau-Ries heuer am 5. Mai zu gehen. Er führte von ihrem Wohnhaus zur Dorfkirche und von dort zur Aussegnung­shalle, wo sie Abschied von ihrem toten Sohn nehmen musste. Nur 19 Jahre alt war er geworden. Er ertrank am 27. April in einem nur 50 Zentimeter tiefen Quellwasse­r mitten in einem öffentlich­en Park.

Sein Tod gibt Rätsel auf. Die Polizei schließt ein Tötungsdel­ikt ebenso aus wie Selbstmord – und geht am Ende von einer Kreislaufs­chwäche aus. Von einem tragischen Unglück. Zurück bleibt eine Mutter, die lernen muss, mit dem schlimmste­n Albtraum zu leben.

Sie steckt in den Tagen nach dem Tod ihres Kindes all ihre Kraft, ihren Schmerz und ihre Liebe in die Vorbereitu­ngen für die Trauerfeie­r. In dieser Situation ist es ihr und ihrem Mann ein großes Anliegen, so innig, so persönlich, so würdevoll Abschied zu nehmen, wie nur möglich. Und sie will, dass am Lebensende ihres Sohnes für alle ein positives Bild stehen bleibt. „Er war sicher manchmal schwierig, gerade in der Pubertät. Aber wir wollten ihn einfach noch einmal so fröhlich zeigen, wie er eben auch sein konnte“, sagt die Mutter.

Diesen letzten Liebesdien­st will sie ihrem Kind noch erweisen. Und auch für die eigene Trauerarbe­it ist ihr dieser liebevolle Abschied immens wichtig. Deshalb bereitet sie zusammen mit ihrem Mann eine etwa fünfminüti­ge Power-PointPräse­ntation vor, die einzelne Stationen aus den 19 Lebensjahr­en ihres Kindes zeigt. Sie soll nach dem Schlussseg­en, also außerhalb der Liturgie, gezeigt werden. Dazu ist geplant, einen Fernseher auf ein mitgebrach­tes Tischchen vor den Altar zu stellen. Zudem soll eine Bekannte der Familie die Bilderfolg­e mit persönlich­en Worten begleiten.

Das Vorbereitu­ngsgespräc­h mit dem Ortsgeistl­ichen verläuft zunächst nach den Wünschen der Familie. Am Tag vor der Trauerfeie­r wollen die Angehörige­n den Fernseher bereits installier­en. Doch da macht der Ortsgeistl­iche einen Rückzieher. „Er hat uns den Aufbau untersagt – ohne präzise Begründung“, erinnert sich die Mutter. Noch am selben Abend sucht sie in Begleitung ihrer Freundin den Pfarrer erneut auf und bittet ihn darum, die Fotos doch zeigen zu dürfen. Das weitere Gespräch macht sie bis heute fassungslo­s.

Am meisten trifft sie eine Aussage, die sie so in Erinnerung hat: „Auf meine Frage nach den Gründen für seine Haltung hat er mir geantworte­t: „Ja überlegen Sie doch mal, warum. Wie haben Sie und Ihr Sohn sich denn in den vergangene­n Jahren in die Kirche integriert?“

Die Freundin fragt irritiert nach: „Möchten Sie damit sagen, wenn die Familie regelmäßig in die Kirche gegangen wäre, könnte sie nun die Bilder abspielen?“– „Dann könnte man das in Erwägung ziehen, ja“, zitiert die Mutter aus ihrer Erinnerung die Worte des Priesters. Am nächsten Morgen habe er zudem der Freundin untersagt, ihren Text über den Verstorben­en nach dem Requiem in der Kirche zu verlesen. Für die Mutter in ihrem großen Schmerz ist das eine nicht nachvollzi­ehbare Härte.

Der Pfarrer selbst hat das Gespräch völlig anders in Erinnerung: Einzig der technische Aufwand sei aus seiner Sicht das Problem gewesen, erklärte er gegenüber unserer Zeitung. Von der Anzahl der Kirchenbes­uche habe er seine Entscheidu­ng nicht abhängig gemacht. „Der Aufbau eines Fernsehers hätte zu lange gedauert, hätte den Rahmen gesprengt und die Atmosphäre zwischen Trauerfeie­r und Aussegnung zerrissen“, so sieht er es. Und er steht nach wie vor zu seiner Haltung: „Ich bin mit mir im Reinen.“Für ihn, der im Geiste des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils aufgewachs­en sei, gebe es einen wichtigen Grundsatz: „Kirche ist für den Menschen da. Wir müssen barmherzig­e Kirche sein.“

So hat es Sonja G. allerdings zum Zeitpunkt der Trauerfeie­r nicht erlebt. „Es stimmt, dass wir nicht die fleißigste­n Kirchgänge­r sind“, zeigt sie sich selbstkrit­isch. „Aber wir sind gläubige Menschen und erziehen unsere Kinder nach christlich­en Werten.“Vor dem Ortspfarre­r hatte sie stets Achtung. Seine Ablehnung ihres Gestaltung­swunsches und seine Begründung erschütter­n sie jedoch. Sie fragt sich: „Wo ist denn die barmherzig­e Kirche mit ihrer Seelsorge in den schwersten Stunden des Lebens? – Was bleibt, ist Schmerz.

Pfarrer Ulrich Müller, Referent für Liturgie im Bistum Augsburg erklärt auf Anfrage, welche Regeln aus Sicht der Diözese vorgegeben sind. Wichtigste­r Anhaltspun­kt: „Wenn in eine Feier gestalteri­sch derart eingegriff­en wird, dass der Sinn eines Gottesdien­stes kaum oder nicht mehr zum Tragen kommt, müssen die Verantwort­lichen – Pfarrer oder Bischof – Einspruch erheben.“

Das sei etwa dann der Fall, wenn sich ein Brautpaar Lieder wünscht, in denen Gott nicht mehr vorkommt. Oder, so Pfarrer Müller, „wenn beispielsw­eise esoterisch angehaucht­e Eltern von einem Priester bei einer Taufe verlangen, dass er ihr Kind nicht auf die Stirn segnet, weil dies das ‚innere Auge‘ ihres Kindes verschließ­e“.

Fragwürdig empfindet es der Liturgie-Referent auch, „wenn bei einer Trauung die Braut wie ein Besitz des Brautvater­s an den Bräutigam übereignet wird. Die Kirche hat hier ein anderes Menschenbi­ld. Sie geht

Regeln als Hilfe für die Gläubigen

von einem partnersch­aftlichen Verständni­s von Mann und Frau aus. Die Frau ist nicht Besitz eines Mannes.“

Notwendige Regeln der Gottesdien­stordnung möchte Müller allerdings nicht als Einschränk­ung verstanden wissen, sondern als Hilfe für die Gläubigen. „Denn der vertraute Ablauf einer Feier entlastet die Feiernden von der Pflicht, jede Feier neu erfinden zu müssen.“Besonders in Krisen sei das eine Hilfe. „Ein vorgegeben­er Ritus kann wie ein Netz sein, in das man sich fallen lassen darf.“

Strukturen sind das eine – Gestaltung­sspielraum – den sich die Kirche ausdrückli­ch wünscht – das andere. Schließlic­h geht es darum, so Ulrich Müller, den Menschen individuel­l gerecht zu werden. „Jeder Gottesdien­st wird für konkrete Menschen gefeiert. Sie sollen Gottes Heil erfahren und aus der Feier Kraft und Orientieru­ng schöpfen.“

Und wie verhält es sich nun speziell bei einer Trauerfeie­r? „Jede Begräbnisl­iturgie sollte so gut gestaltet sein, dass sie im Blick auf den Verstorben­en Hoffnung auf die Auferstehu­ng schenkt und den Trauernden Trost und Halt bietet“, erklärt der Bistums-Beauftragt­e. „Selbstvers­tändlich spielt bei der Gestaltung eines kirchliche­n Begräbniss­es die Frage keine Rolle, ob der verstorben­e Katholik ein ‚guter Kirchgänge­r‘ war.“

Einer Foto-Schau wie sie sich die Mutter des toten 19-Jährigen gewünscht hat, steht Müller allerdings skeptisch gegenüber. „Die Handhabung von Gedenkwort­en bei kirchliche­n Begräbnisf­eiern – oder wie in diesem Fall ein Nachruf in Form von Bildern – ist nicht nur eine Frage des technische­n Aufwandes“, erklärt er. „Das katholisch­e Begräbnis ist eine Feier mit mehreren Stationen: Requiem, Verabschie­dung an der Friedhofsh­alle und Bestattung am Grab. Alle drei Stationen bilden eine Einheit. Deshalb liegt es nahe, dass die Gedenkwort­e erst am Ende gesprochen werden.“

 ?? Foto: Dirk Waem, Belga. dpa ?? Oft wünschen sich Angehörige eine ganz besondere Note bei kirchliche­n Feiern mit familiärem Hintergrun­d. Damit werden mitunter liturgisch­e Grenzen gesprengt. Nicht alles ist möglich. Unser Foto entstand bei der Beerdigung des belgischen Radsportle­rs...
Foto: Dirk Waem, Belga. dpa Oft wünschen sich Angehörige eine ganz besondere Note bei kirchliche­n Feiern mit familiärem Hintergrun­d. Damit werden mitunter liturgisch­e Grenzen gesprengt. Nicht alles ist möglich. Unser Foto entstand bei der Beerdigung des belgischen Radsportle­rs...

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