„Wir hätten ihn so gern noch mal fröhlich gezeigt“
Als eine Mutter zum Gedenken an ihren toten Sohn eine Bilderschau im Gotteshaus präsentieren will, wird ihr das verwehrt. Wie viel Gestaltung ist bei Trauerfeiern, Hochzeiten, Taufen möglich? Was sagt der Ortspfarrer und was das Bistum?
Landkreis Den sicher schwersten Weg ihres bisherigen Lebens hatte eine Mutter aus dem Landkreis Donau-Ries heuer am 5. Mai zu gehen. Er führte von ihrem Wohnhaus zur Dorfkirche und von dort zur Aussegnungshalle, wo sie Abschied von ihrem toten Sohn nehmen musste. Nur 19 Jahre alt war er geworden. Er ertrank am 27. April in einem nur 50 Zentimeter tiefen Quellwasser mitten in einem öffentlichen Park.
Sein Tod gibt Rätsel auf. Die Polizei schließt ein Tötungsdelikt ebenso aus wie Selbstmord – und geht am Ende von einer Kreislaufschwäche aus. Von einem tragischen Unglück. Zurück bleibt eine Mutter, die lernen muss, mit dem schlimmsten Albtraum zu leben.
Sie steckt in den Tagen nach dem Tod ihres Kindes all ihre Kraft, ihren Schmerz und ihre Liebe in die Vorbereitungen für die Trauerfeier. In dieser Situation ist es ihr und ihrem Mann ein großes Anliegen, so innig, so persönlich, so würdevoll Abschied zu nehmen, wie nur möglich. Und sie will, dass am Lebensende ihres Sohnes für alle ein positives Bild stehen bleibt. „Er war sicher manchmal schwierig, gerade in der Pubertät. Aber wir wollten ihn einfach noch einmal so fröhlich zeigen, wie er eben auch sein konnte“, sagt die Mutter.
Diesen letzten Liebesdienst will sie ihrem Kind noch erweisen. Und auch für die eigene Trauerarbeit ist ihr dieser liebevolle Abschied immens wichtig. Deshalb bereitet sie zusammen mit ihrem Mann eine etwa fünfminütige Power-PointPräsentation vor, die einzelne Stationen aus den 19 Lebensjahren ihres Kindes zeigt. Sie soll nach dem Schlusssegen, also außerhalb der Liturgie, gezeigt werden. Dazu ist geplant, einen Fernseher auf ein mitgebrachtes Tischchen vor den Altar zu stellen. Zudem soll eine Bekannte der Familie die Bilderfolge mit persönlichen Worten begleiten.
Das Vorbereitungsgespräch mit dem Ortsgeistlichen verläuft zunächst nach den Wünschen der Familie. Am Tag vor der Trauerfeier wollen die Angehörigen den Fernseher bereits installieren. Doch da macht der Ortsgeistliche einen Rückzieher. „Er hat uns den Aufbau untersagt – ohne präzise Begründung“, erinnert sich die Mutter. Noch am selben Abend sucht sie in Begleitung ihrer Freundin den Pfarrer erneut auf und bittet ihn darum, die Fotos doch zeigen zu dürfen. Das weitere Gespräch macht sie bis heute fassungslos.
Am meisten trifft sie eine Aussage, die sie so in Erinnerung hat: „Auf meine Frage nach den Gründen für seine Haltung hat er mir geantwortet: „Ja überlegen Sie doch mal, warum. Wie haben Sie und Ihr Sohn sich denn in den vergangenen Jahren in die Kirche integriert?“
Die Freundin fragt irritiert nach: „Möchten Sie damit sagen, wenn die Familie regelmäßig in die Kirche gegangen wäre, könnte sie nun die Bilder abspielen?“– „Dann könnte man das in Erwägung ziehen, ja“, zitiert die Mutter aus ihrer Erinnerung die Worte des Priesters. Am nächsten Morgen habe er zudem der Freundin untersagt, ihren Text über den Verstorbenen nach dem Requiem in der Kirche zu verlesen. Für die Mutter in ihrem großen Schmerz ist das eine nicht nachvollziehbare Härte.
Der Pfarrer selbst hat das Gespräch völlig anders in Erinnerung: Einzig der technische Aufwand sei aus seiner Sicht das Problem gewesen, erklärte er gegenüber unserer Zeitung. Von der Anzahl der Kirchenbesuche habe er seine Entscheidung nicht abhängig gemacht. „Der Aufbau eines Fernsehers hätte zu lange gedauert, hätte den Rahmen gesprengt und die Atmosphäre zwischen Trauerfeier und Aussegnung zerrissen“, so sieht er es. Und er steht nach wie vor zu seiner Haltung: „Ich bin mit mir im Reinen.“Für ihn, der im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgewachsen sei, gebe es einen wichtigen Grundsatz: „Kirche ist für den Menschen da. Wir müssen barmherzige Kirche sein.“
So hat es Sonja G. allerdings zum Zeitpunkt der Trauerfeier nicht erlebt. „Es stimmt, dass wir nicht die fleißigsten Kirchgänger sind“, zeigt sie sich selbstkritisch. „Aber wir sind gläubige Menschen und erziehen unsere Kinder nach christlichen Werten.“Vor dem Ortspfarrer hatte sie stets Achtung. Seine Ablehnung ihres Gestaltungswunsches und seine Begründung erschüttern sie jedoch. Sie fragt sich: „Wo ist denn die barmherzige Kirche mit ihrer Seelsorge in den schwersten Stunden des Lebens? – Was bleibt, ist Schmerz.
Pfarrer Ulrich Müller, Referent für Liturgie im Bistum Augsburg erklärt auf Anfrage, welche Regeln aus Sicht der Diözese vorgegeben sind. Wichtigster Anhaltspunkt: „Wenn in eine Feier gestalterisch derart eingegriffen wird, dass der Sinn eines Gottesdienstes kaum oder nicht mehr zum Tragen kommt, müssen die Verantwortlichen – Pfarrer oder Bischof – Einspruch erheben.“
Das sei etwa dann der Fall, wenn sich ein Brautpaar Lieder wünscht, in denen Gott nicht mehr vorkommt. Oder, so Pfarrer Müller, „wenn beispielsweise esoterisch angehauchte Eltern von einem Priester bei einer Taufe verlangen, dass er ihr Kind nicht auf die Stirn segnet, weil dies das ‚innere Auge‘ ihres Kindes verschließe“.
Fragwürdig empfindet es der Liturgie-Referent auch, „wenn bei einer Trauung die Braut wie ein Besitz des Brautvaters an den Bräutigam übereignet wird. Die Kirche hat hier ein anderes Menschenbild. Sie geht
Regeln als Hilfe für die Gläubigen
von einem partnerschaftlichen Verständnis von Mann und Frau aus. Die Frau ist nicht Besitz eines Mannes.“
Notwendige Regeln der Gottesdienstordnung möchte Müller allerdings nicht als Einschränkung verstanden wissen, sondern als Hilfe für die Gläubigen. „Denn der vertraute Ablauf einer Feier entlastet die Feiernden von der Pflicht, jede Feier neu erfinden zu müssen.“Besonders in Krisen sei das eine Hilfe. „Ein vorgegebener Ritus kann wie ein Netz sein, in das man sich fallen lassen darf.“
Strukturen sind das eine – Gestaltungsspielraum – den sich die Kirche ausdrücklich wünscht – das andere. Schließlich geht es darum, so Ulrich Müller, den Menschen individuell gerecht zu werden. „Jeder Gottesdienst wird für konkrete Menschen gefeiert. Sie sollen Gottes Heil erfahren und aus der Feier Kraft und Orientierung schöpfen.“
Und wie verhält es sich nun speziell bei einer Trauerfeier? „Jede Begräbnisliturgie sollte so gut gestaltet sein, dass sie im Blick auf den Verstorbenen Hoffnung auf die Auferstehung schenkt und den Trauernden Trost und Halt bietet“, erklärt der Bistums-Beauftragte. „Selbstverständlich spielt bei der Gestaltung eines kirchlichen Begräbnisses die Frage keine Rolle, ob der verstorbene Katholik ein ‚guter Kirchgänger‘ war.“
Einer Foto-Schau wie sie sich die Mutter des toten 19-Jährigen gewünscht hat, steht Müller allerdings skeptisch gegenüber. „Die Handhabung von Gedenkworten bei kirchlichen Begräbnisfeiern – oder wie in diesem Fall ein Nachruf in Form von Bildern – ist nicht nur eine Frage des technischen Aufwandes“, erklärt er. „Das katholische Begräbnis ist eine Feier mit mehreren Stationen: Requiem, Verabschiedung an der Friedhofshalle und Bestattung am Grab. Alle drei Stationen bilden eine Einheit. Deshalb liegt es nahe, dass die Gedenkworte erst am Ende gesprochen werden.“