Wie im Film getrickst wird
Deutsche Firmen haben in der Branche einen Namen – und manipulieren und retuschieren mit Erfolg
Wie es sich für ein junges Berliner Unternehmen gehört, liegen die Büros der Firma Rise in einer ehemaligen Fabrik an der Spree. Wer sie betritt, muss eine Vereinbarung unterschreiben: dass er von dem, was er sehen wird, keine Details weitererzählt. Und es gibt einiges zu sehen. An dicht gedrängten Arbeitsplätzen mit großen Monitoren sitzen reihenweise Männer und Frauen und schaffen visuelle Effekte – das heißt, sie bewegen und manipulieren Filmbilder im Computer. Vielleicht arbeiten sie an einem aktuellen Marvel-Blockbuster, vielleicht an einer Serie für Netflix.
Beides haben sie in der Vergangenheit schon einmal bewerkstelligt, wie Gründer Florian Gellinger erzählt. Vor elf Jahren hat er das Unternehmen mit drei Kollegen und ihren Computern gestartet; heute beschäftigt er 200 Mitarbeiter. Gemeinsam mit Firmen wie Pixomondo (Darmstadt) und Trixter (München) gehört Rise zu den erfolgreichen Effekt-Produzenten. Deutsche Unternehmen haben einen guten Ruf in der Branche, der Babelsberger Gerd Nefzer gewann mit seiner Firma dieses Jahr einen Oscar für seine Effekte in „Blade Runner 2049“.
Rise arbeitet meistens für große Filmproduktionen – aber inzwischen auch für das deutsche Fernsehen. 2017 bauten Mitarbeiter der Firma eine Datenbank aus virtuellen Gebäuden, Menschen, Bäumen und Bordsteinkanten aus dem Berlin der 20er Jahre auf, um damit in nur vier Monaten die 800 Effekteinstellungen der Serie „Babylon Berlin“zu bevölkern. Für einen Kampf auf einem Zug drehte Tom Tykwer auf dem abgesägten Oberteil eines Waggons – der Rest der Szene kam aus Gellingers Computern. Auch für die Effekte in der ersten deutschen NetflixProduktion „Dark“war Rise verantwortlich. Dort ging es vor allem darum, ein virtuelles Atomkraftwerk vor die Tore der fiktiven deutschen Stadt Winden zu setzen.
Für den freien Effekt-Supervisor Frank Kaminski sind Computertricks ein ideales Werkzeug, um jene aufwendige Logistik zu vereinfachen, die Film- und Fernsehdrehs meistern müssen. Dennoch spürt er vonseiten der Produktionsfirmen und Regisseure weiter eine große Skepsis: „Es wird immer noch schwachsinnig Geld ausgegeben, um in 20 Meter Entfernung einen Mast mühsam abzubauen, den man für ein paar Euro mit den richtigen Leuten rausretuschieren kann“, sagt er. Ob bei einem Pistolenschuss das Mündungsfeuer ergänzt oder der bedeckte durch einen sonnigen Himmel ausgetauscht werden soll – Effekte sind vielseitig einsetzbar.
Einer, der Kaminski vertraut hat, ist der Regisseur Dietrich Brüggemann. Im August 2016 stand Brüggemann mit Kaminski und seinem Szenenbildner Klaus-Peter Platten auf der Schwarzwaldhochstraße zwischen Baden-Baden und Freudenstadt und überlegte, ob es möglich sein würde, dort seinen „Tatort“zu drehen. „Stau“, so der Titel, sollte in einer Reihe von Autos spielen, die am Rande des Stuttgarter Kessels festsitzen. Ein Dreh am Originalschauplatz kam nicht in Frage. Die Straße im Schwarzwald hätte zwar mit einigem Aufwand in ein Double verwandelt werden können. Gedreht werden musste allerdings nachts im Winter. Eine Vorstellung, von der keiner der Beteiligten begeistert war. „Ich habe dann in die Waagschale geworfen, dass man am besten nicht draußen dreht, sondern ins Studio geht und die Straße baut“, erzählt Kaminski. Obwohl die Idee verrückt klang, wurde sie genau so umgesetzt: In einer Messehalle in Freiburg errichtete Brüggemanns Team einen 100 Meter langen Straßenabschnitt. Rise half, das Set in den Computer zu scannen. Die Daten gingen anschließend an die Münchner Firma Scanline, die in den fertigen Aufnahmen alle „Blue Screens“durch ein 3D-Modell des Stuttgarter Panoramas ersetzte.
Mit rund 300 computermanipulierten Einstellungen kann „Stau“als einer der effektlastigsten „Tatorte“in der Geschichte der Sendung gelten – obwohl man es dem Ergebnis gar nicht ansieht.