China wirbt um uns. Aber denkt an sich
Die Führung in Peking bietet sich den Europäern als Ersatz für den Partner USA an. So enttäuscht wir von den Amerikanern sind – wir dürfen nicht naiv sein
Am Mittwoch wird Donald Trump in Europa einfallen. Vermutlich schickt er vor Beginn des Nato-Gipfels in Brüssel einen Tweet als Marschflugkörper voraus, und direkt nach dem Gipfelschluss einen hinterher, man kennt das mittlerweile.
Dass der US-Präsident sein Land nicht nur bei Rüstungsausgaben, sondern auch im Freihandel übervorteilt sieht, hat er längst im Wort mitgeteilt – und in der Tat. Seine Strafzölle gegen China (und vielleicht bald gegen Europa) sind Waffen im drohenden Handelskrieg.
Wenn der chinesische Premier Li Keqiang am Montag in Berlin Kanzlerin Angela Merkel besucht, reist er hingegen auf den ersten Blick nur mit einem Lächeln an. Merkel und Li werden sich alle Mühe geben, eine Zukunft zu skizzieren, die nach Chinopa aussieht, einer (noch engeren) Partnerschaft zwischen den Chinesen und den Europäern.
Peking umschmeichelt speziell uns Deutsche gerade als „natürliche Partner“. Schon im Frühjahr hatte sich Chinas Präsident beim Weltwirtschaftsforum in Davos als glühender Verteidiger des Freihandels, wie wir ihn kennen, angedient – und damit als Ersatz für ein Amerika, das nur noch um sich selbst kreist.
Für eine solche Annäherung spricht ja auch einiges, sie ist teilweise längst Realität. Autokonzerne wie Volkswagen verkaufen mehr als jedes zweite Auto in China. Deutsche und Chinesen tauschen Waren im Wert von rund 170 Milliarden Euro aus, jedes Jahr.
Dennoch wäre es naiv, wenn wir Deutsche – oder auch Europäer – „China first“als neues Credo unserer Wirtschaftspolitik ausriefen. Wir würden direkt in die China-Falle tappen. Von einer Wertegemeinschaft kann nur sprechen, wer nicht hinter die lächelnde Fassade von Staatsbesuchen schauen mag – und etwa mit Vertretern der deutschen Industrie spricht, die im Alltag mit chinesischen Behörden und Konkurrenten zu tun haben.
In diesem Alltag ist das gemeinsame Wertefundament nämlich akut einsturzgefährdet. China geht es nicht um Handel auf Augenhöhe. Seine Führung zielt auf nichts Geringeres ab als die „Wiedergeburt der großen chinesischen Nation“. Bis zum Jahr 2035 sollen dafür rund drei Viertel aller „wichtigen Werkstoffe und Kernkompetenzen“in China produziert werden.
Teil dieser Strategie sind nicht allein Großprojekte wie die „Neue Seidenstraße“, die globale Dominanz und politischen Einfluss garantieren soll. Nein, dazu gehört auch der gezielte Technologieeinkauf: Eine Studie der BertelsmannStiftung ergab, dass etwa zwei Drittel der chinesischen Transaktionen auf Firmen zielen, die Peking als Teil von Schlüsselbranchen ausgemacht hat – für den eigenen Aufstieg. Das Riesenland will nicht mehr Werkbank sein, sondern Technologieführer.
Ein verständliches Anliegen: Aber wir dürfen uns keiner Illusion hingeben, was das konkret bedeutet. Schon jetzt werden deutsche Unternehmen in China mal boykottiert, mal behindert.
Davor zu warnen, hat nichts mit Abschottung zu tun. Vielmehr mit Realismus. Dazu gehört, eigene Schlüsselindustrien vor chinesischen Übernahmen stärker zu schützen. Wäre Kuka ein innovativer chinesischer Roboterhersteller, Peking hätte ihn nicht so leicht übernehmen lassen. Europa müsste sich rasch auf gemeinsame Prüfstandards bei Übernahmen einigen.
Stattdessen kreist unser Kontinent um die Flüchtlingsfrage, während die Welt sich weiterdreht. Und verfällt in Panik angesichts der wirren Signale aus Washington. Aber die Regeln des Welthandelssystems, mit dem wir gut gefahren sind, retten wir nicht in naiver Annäherung an China.
Peking ist nicht unser natürlicher Partner