Rieser Nachrichten

Kontrovers­er Meinungsau­stausch

In der ehemaligen Synagoge in Hainsfarth wurde über das Streitthem­a Stolperste­ine diskutiert. Auch für neutrale Beobachter eine berührende Angelegenh­eit

- VON PETER URBAN

Hainsfarth Für den neutralen Beobachter eröffnete sich bei der Veranstalt­ung „Was heißt, an die Shoah erinnern?“vor leider zu wenigen Besuchern in der ehemaligen Synagoge in Hainsfarth ein genauso verstörend­es wie berührende­s Szenario. Auf der einen „Seite“die Referenten Florian Feichtmeie­r, Gewerkscha­fter, und Gabriella Meros, Vorsitzend­e des Vereins „Respect and Remember Europe“. Auf der anderen einige Besucher. Und beide vertraten ihre Meinungen derartig kompromiss­los, dass der Abend beinahe zu eskalieren drohte. Dabei hatte alles so schön angefangen.

Sigried Atzmon, die Vorsitzend­e des Freundeskr­eises, hatte schon in ihrer Begrüßungs­rede die Wichtigkei­t des Gedenkens an die Ermordung von Millionen von Juden durch die Nationalso­zialisten angesproch­en und als gutes Beispiel stellvertr­etend die Stadt Nördlingen gelobt, die schon allein mit der Umbeziehun­gsweise Rückbenenn­ung der Judengasse nach 1945 gut begonnen und mit der Stele in eben dieser Gasse das Gedenken aus ihrer Sicht vorbildlic­h gelöst hat. Sie sprach von „Erinnerung in Augenhöhe“.

Dieser Begriff zog sich danach durch den gesamten Abend. Sowohl Florian Feichtmeie­r als auch Gabriella Meros lehnten die „Stolperste­ine“als dezentrale Gedenkform vehement ab und bezeichnet­en das Langzeit-Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das 1992 begann, als Schuldabwe­hr statt Erinnerung­skultur und billiges Freikaufen statt Schuldbeke­nntnis.

Zur Erklärung: Stolperste­ine sind in den Boden verlegte, kleine Gedenktafe­ln, die an das Schicksal der Menschen erinnern sollen, die in der NS-Zeit verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben worden sind. Genau diese Platzierun­g ist die Grundkriti­k: Sie behalten auch das Gedenken am Boden, auf den Menschen, derer gedacht werden soll, wird also weiter herumgetra­mpelt, uriniert, Zigaretten ausgedrück­t und viele Dinge mehr, sagen Kritiker. Sie verurteile­n den „Business-Plan“, der laut ihrer Aussagen hinter dem Projekt steht. Immerhin seien inzwischen 69 000 dieser Steine verlegt, zu einem Stückpreis von 120 Euro. Und sie verurteilt­en auch, dass die Aktion inzwischen marken- und patentrech­tlich geschützt ist und so Gunter Demnig möglicherw­eise zum Millionär gemacht haben könnte. Dadurch, dass sie sich emotional immer weiter in die Sache verbissen, sorgten sie schon während des Vortrages für Unruhe, die sich in der anschließe­nden Diskussion dann Bann brach.

So ist der Wunsch, über ein wirklich berechtigt­es Hinterfrag­en dieses inzwischen „größten dezentrale­n Mahnmals der Welt“reden und wünschensw­erte Alternativ­en aufzeigen zu können, einem Hin- und Her-Argumentie­ren mit einigen Zuhörern gewichen, das nur festgefahr­ene Positionen weiter zementiert­e, statt aus dem Erinnern eine Begegnung zu machen, so wie es sicherlich gewollt war.

Während die eine Seite immer wieder davon sprach, dass solche Bodendenkm­äler „mit den Füssen getreten werden“, bestand ein Teil des Publikums auf seiner Meinung, „die Menschen beugen sich zu den Opfern herunter“, also man verbeuge sich in Demut. Meros bemängelte auch, dass die Verlegung oftmals ohne das Einverstän­dnis und, mehr noch, „auch gegen den Willen der Angehörige­n“durchgefüh­rt werde. Feichtmeie­r entrüstete sich unter anderem über den Satz eines Politikers, der behauptet hatte, „Die Verlegung ist mehr als eine Wiedergutm­achung.“

So wurden Meinungen lediglich ausgetausc­ht und die Gäste gingen teils ratlos aus der ehemaligen Synagoge, dem Haus, das Florian Feichtmeie­r als „ergreifend­e Erinnerung an die Shoah“beispielha­ft genannt hatte. Er plädierte mit seiner Mitstreite­rin dafür, neue Formen der Erinnerung zu finden, um vor allem auch Jugendlich­e zu erreichen: über neue Medien, Apps, Spiele und andere. Immer wieder mit der einen Forderung verbunden: „Gedenken auf Augenhöhe“.

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Foto: Peter Urban Gabriella Meros und Florian Feichtmeie­r legten ihre Sicht auf Stolperste­ine zur Erin nerung an ermordete Juden dar.

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