Die Kontrolle über das Leben zurückgewinnen
Heute ist der Deutsche Reha-Tag. Bei den Hilfsangeboten geht es meist nicht um Kreuzband oder Bandscheibe, sondern weitaus häufiger um psychische Probleme sowie Alkohol- oder Drogensucht
Landkreis Vor knapp einem Jahr hat Frank (Name von der Redaktion geändert) seine Reha begonnen und jetzt fast abgeschlossen. Er hat sich aber nicht etwa bei einem Unfall schwer verletzt, er war alkoholabhängig und zog gerade noch die Reißleine, bevor er seinem Leben ein Ende setzen wollte.
„Bei dem Wort Rehabilitation denkt jeder an die Bandscheibe oder das Kreuzband, aber das Spektrum ist viel größer. Es geht auch um psychische Probleme und Abhängigkeit von Alkohol, Drogen und anderen Versuchungen“, sagt Simone Mayer von der Suchtfachambulanz Donauwörth. Darauf wollen sie und ihre Kollegin Sabine Schmidt aus Dillingen am heutigen Deutschen RehaTag hinweisen. Sie kümmern sich auch um Spielsüchtige. Die beiden Frauen arbeiten für den Caritasverband der Diözese Augsburg und betreuen Klienten in den Landkreisen Donau-Ries und Dillingen.
Frank ist dankbar für ihre Hilfe. „Ich hatte Depressionen und dann kamen noch Beziehungsprobleme hinzu. Die Last im Leben ist für mich einfach zu groß geworden. Alles müssen, nichts dürfen. Da ist der Alkohol eine gute Ausflucht gewesen.“Wenn es ihm psychisch schlecht ging, griff er zur Flasche. Er schaffte es aber noch, arbeiten zu gehen. Der Alkohol sei für ihn „ein Medikament“gewesen, das Linderung verschafft habe, zumindest kurzfristig. „Danach ging die Spirale immer noch weiter nach unten.“Fast fünf Jahre habe er gebraucht, bis er sich Hilfe gesucht hat.
Frank hat es immerhin geschafft, sich aus eigenem Antrieb Hilfe zu holen, als er mental mal wieder ganz unten war. Er ist selber zu den Bezirkskliniken nach Günzburg gefahren und hat sich dort aufnehmen lassen. „Die meisten kommen zu uns, weil es um ihren Führerschein geht, sie Auflagen von der Justiz haben oder das Umfeld Druck macht. Aus eigenem Antrieb passiert das seltener“, sagt Beraterin Mayer. Von ihren Klienten kommen 70 Prozent wegen Alkohols zu ihnen und davon wiederum sind 80 Prozent Männer. Das Spektrum der Hilfesuchenden reicht vom Jugendlichen bis zum Rentner. Einige brauchen auch länger, bis sie wirklich eine ambulante Therapie bei der Caritas beginnen. Schmidt erinnert sich an einen Fall, in dem die Vorgespräche sich über zwei Jahre hinzogen, bevor der Mann bereit war, sich darauf einzulassen.
Auffallend viele Schichtarbeiter und Menschen, die ihrer Arbeit alles unterordneten, seien unter den Hil- sagt Schmidt. Eine Rolle spiele häufig auch die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Der Druck, nicht krank sein zu dürfen, führe dazu, dass die Betroffenen den Alkohol benutzen, um aus dieser belastenenden Situation herauszukommen. Mayer berichtet, dass es schwierig sei, Schichtarbeitern zu helfen. „Die bekommen ihren
Die Gruppen sind zwischen acht und 15 Personen groß
Dienstplan für das ganze Jahr und können nicht eben mal mehrere Schichten tauschen, um zu unseren Sitzungen zu kommen.“
Die Gruppen bei der Caritas sind zwischen acht und 15 Personen groß. Sitzen auch Drogenabhängige mit darin, wird die Anzahl verringert. Bei diesen Klienten sei mehr zu regeln als bei Alkoholikern, begrün- det Schmidt. Freie Kapazitäten gibt es in der Regel erst, wenn ein Teilnehmer die einjährige ambulante Therapie abschließt. Das System hat aus Sicht von Frank mehrere Vorteile. „Wir sitzen alle im gleichen Boot. Dadurch fällt die Scheu weg, über die eigenen Probleme zu reden oder etwas zu fragen. Zudem kann man sich an den Erfolgsgeschichten derjenigen aufbauen, die schon länger dabei sind.“
Doch führen Wartezeiten nicht dazu, dass ein Therapiewilliger seine Motivation verliert? Schmidt verneint das. „Es braucht eine längerfristige Motivation, um eine ambulante oder stationäre Behandlung durchzuhalten. Die Rehas müssen vernünftig vorbereitet werden.“Dazu gehöre auch, dass ein Antrag gestellt werde, damit die Krankenkasse oder die Deutsche Rentenversicherung die Kosten übernehmen. Die Berater der Caritas müssen dafesuchenden, für einen mehrseitigen Bericht verfassen, in dem sie die Motivation und Chancen des Betroffenen einschätzen. Wenigstens einmal treffen sich die Berater auch mit den Familienangehörigen, um sich ein Bild von der Gesamtsituation zu machen. Für sechs- bis zwölfjährige Kinder von Alkoholkranken hat die Caritas in Dillingen zudem ein Angebot geschaffen,
Auch die Familien werden miteinbezogen
in dem diese über ihre Erfahrungen reden können und das Erlebte eingeordnet wird. „Die Kinder fühlen sich oft mitverantwortlich für die Situation“, so Schmidt. Geht es nach ihr und ihren Kollegen, soll es ein solches Angebot auch für Zwölf- bis 16-Jährige geben. Es gebe dazu entsprechende Bemühungen.
In den Kursen und individuellen Modulen für die Abhängigen vermitteln die Berater Wissen darüber, was Alkohol und Drogen mit dem Körper machen, wie sie Konflikte ohne den Griff zur Flasche oder dem Rauschgift lösen und wie Rückfälle vermieden werden können. Begleitet wird der Prozess von einer Rehaärztin, einer Psychiaterin. Laut Schmidt ist die Abbrecherquote sehr gering. Das hänge auch damit zusammen, dass die Teilnehmer an der ambulanten Reha bereits vergleichsweise gefestigt seien. Im Zweifel werde eine stationäre Behandlung vorgeschaltet, berichtet sie.
Frank geht inzwischen offen mit seinen Problemen um. „Ich binde es keinem auf die Nase, aber wenn Leute fragen, warum ich bei Feiern nichts trinke, dann erkläre ich es ihnen, sonst hören die Fragen ja ohnehin nicht auf.“