„Die Bundesliga wird keine Hacker-Liga“
Die Hessingpark Clinic ist oft Anlaufstelle für verletzte Fußball-Profis. Die Ärzte Ulrich Boenisch und Florian Elser sprechen über ihre Arbeit und warum ihr Handy immer an ist
Bei Ihnen hängen so viele Trikots von operierten Fußball-Profis in den Gängen. Warum dringt von diesen prominenten Patienten so wenig nach außen?
Boenisch: Übrigens, die Trikots nehmen wir nur an, nachdem der Spieler wieder auf dem Platz gestanden ist. Zu Ihrer Frage: Wir sind zur Schweigepflicht verpflichtet. Wir haben uns von Tag eins der Klinik an darauf festgelegt, nichts aktiv rauszugeben. Seit 2002 wurden an der Hessingpark Clinic 1183 Profis operiert und nur über etwa 15 bis 20 Prozent wurde in den Medien berichtet. Der erste Schritt kommt immer von extern, zum Beispiel den Mannschaftsärzten der Vereine oder der Presseabteilung. Ich bin auch gegen die öffentliche Diskussion über Krankheitsbilder in den Medien. Warum? Boenisch: Ein Beispiel: Ein Spieler will den Verein wechseln und es steht irgendwo, dass er einen Knorpelschaden hat. Eventuell stimmt das gar nicht. Das ist ein ganz heikles Thema. Die Fans wollen aber wissen, wie lange ihr Spieler ausfällt… Elser: Man stimmt sich natürlich mit dem Verein bei der Öffentlichkeitsarbeit ab. Es wird häufig in den Medien ein gewisser Druck aufgebaut, und zum Beispiel beschrieben, die Verletzung kann nur so und so lange dauern. Dem darf man sich aber nicht beugen. Wir schreiben RehaZeitpläne, in denen wir bestimmte Stufen einbauen, die der Spieler erreichen muss. Wenn er die passiert hat und die Kriterien erfüllt, darf er die nächste Stufe nehmen. Zuletzt beschwerten sich die BayernBosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge darüber, dass ihre Spieler brutal gefoult wurden. Ist die Bundesliga härter geworden, gibt es mehr Verletzungen? Boenisch: Ich glaube, das ist gut vergleichbar mit dem Abfahrtsrennen auf der Streif in Kitzbühel vor zwei Jahren. Da gab es drei schwer verletzte Top-Athleten. Ich glaube, das ist eine zufällige Anhäufung von schweren Verletzungen, die gerade eben, weil es eine wichtige Mannschaft betrifft, noch mal sehr kri-
tisch beleuchtet wird. Ich kann nicht feststellen, dass die Bundesliga eine Hacker-Liga wird. Kann man am Fernsehen schon erkennen, dass Arbeit auf einen zukommt? Boenisch: Man hat schon eine Ahnung, welche Verletzung entstanden sein könnte, man kennt ja die Mechanismen. Den Schweregrad und die Ausprägung kann man aber erst beurteilen, wenn man den verletzten Spieler „in der Hand“hat. Haben Sie beim verkorksten Jubelsprung des FCA-Spielers Dong-Won Ji gesehen, dass da etwas Schlimmeres passiert sein muss? Elser: Ich war an diesem Wochenende im Ausland, aber Ji hat mir danach das Video gezeigt. Und da hat man schon gesehen, dass der Verletzungsmechanismus zu dem passt, was er auch letztendlich hat. Haben Sie am Wochenende so einen Art Notfallplan in der Klinik? Die Hessingpark Clinic ist für viele Bundesliga-Profis die erste Anlaufstelle. Elser: Im Profisport muss man 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr in Bereitschaft sein. Wir sind telefonisch immer erreichbar. Aktuelle Fälle sind tabu, aber lassen Sie uns über die Kreuzband-OP bei Sami Khedira reden. Der Nationalspieler hatte sich am 15. November 2013 beim Testspiel gegen Italien das Kreuzband gerissen und lag zwölf Stunden später vor Ihnen auf dem OP-Tisch…
Boenisch: Das war ein spezieller Fall. Ich war gerade in München bei einem Freund und habe das Spiel dort gesehen. Der Freund ist Physiotherapeut bei den Bayern. Wir haben uns angeschaut und beide gesagt, der hat die Verletzung. Das war am Freitagabend. Auf der Heimfahrt nachts um 0.30 Uhr kam der Anruf von Müller-Wohlfahrt (Anm. d. Red., damals Mannschaftsarzt der Nationalmannschaft). Samstag um 9.30 Uhr ist Khedira eingeflogen worden und um 13 Uhr ist er operiert worden. War das ein Extremfall? Boenisch: Ja, aber nicht die Ausnahme. Wenn z. B. ein Knochenbruch mit Blutungen oder eine offene
Wunde vorliegt, dann wird teilweise während des Spiels schon die Diagnostik und falls nötig die OP vorbereitet. Haben sich die Verletzungen durch die Professionalisierung des Spiels verändert? Elser: Statistisch haben die Muskelverletzungen zugenommen. Das liegt aber wahrscheinlich auch daran, dass wir die Verletzungen immer besser erkennen können. Vor zehn, 20 Jahren gab es noch keine MRT-Untersuchung, die mit einer so unglaublichen Auflösung die Strukturen darstellen kann. Wir können heute viel mehr sehen als früher und neue Klassifikationen erstellen. Deswegen hat sich das ein wenig verschoben. Das Fußballspiel allgemein hat sich auch verändert. Es ist dynamischer geworden, die Spieler laufen heute viel mehr, aber die Standardverletzungen Kniegelenk, Sprunggelenk, Muskelverletzungen gab es schon immer. Wird von den Vereinen Druck ausgeübt bei der Rehabilitation?
Boenisch: Der Zeitfaktor ist immer ein Punkt. Aber da lassen wir uns nicht drängen. Wir haben die Verantwortung für die medizinische Genesung und da sind wir konsequent gegenüber Wünschen. Alles andere wäre unverantwortlich. Gib es Operationen, bei denen man zum Beispiel einen kleinen Knorpelschaden im Knie nicht beseitigt, weil ein Spieler schneller fit werden will? Boenisch: Durch die Feindiagnostik erleben wir während der Operation keine Überraschungen mehr. Wir gehen die exakte Planung der OP mit allen im Vorfeld durch. Der
Spieler ist sich klar, mit welchen Ausfallzeiten er zu rechnen hat. Die Medizinethik lässt es nicht zu, aus Zeitgründen spezielle Begleitschäden nicht mitzutherapieren. Was immer mehr in den Medien thematisiert wird, sind die medizinischen Untersuchungen vor einem Transfer. Gibt es da standardisierte Abläufe?
Elser: Ja, es gibt eine standardisierte Untersuchung basierend auf einem Formular der DFL. Je nach Auffälligkeiten während der Untersuchung oder bei bekannten Vorverletzungen geht man dann mehr in die Tiefe und macht individuelle Zusatztests wie MRT-Untersuchungen und/oder Funktionstests. MRTUntersuchungen können etwaige Schäden am Knorpel, Bändern oder Weichteilen aufdecken. Mithilfe von Funktionstests kann man neben funktionellen Defiziten, deren Ausgleich zur Verletzungsprophylaxe wichtig ist, auch herausfinden, ob ein Spieler nach einer Verletzung wirklich keine Probleme mehr hat. Restbeschwerden äußern sich zum Beispiel in Einbrüchen der Kraftkurve. Diese Dinge sind wichtig, um ein möglichst exaktes Vorhersageergebnis zu erzielen. Und auf was legt der FC Augsburg viel Wert? Boenisch: Auf ein genaues, verlässliches Screening. Beim FCA sorgte Julian Schieber für Schlagzeilen. Der hatte schon mehrere schwere Knie-Verletzungen, ein paar Wochen nach seiner Verpflichtung verletzte er sich wieder… Boenisch: Keine Angaben zu Patienten. Wie der Patient damit umgeht, ist seine Sache.
Platzte ein Wechsel schon, aufgrund einer Stellungnahme aus Ihrem Haus? Boenisch: Ja. Wer war es? Boenisch: Keine Angabe zu Patienten. Kommen neue Methoden auch den normalen Patienten zugute?
Elser: Die Fifa hat jetzt zum Beispiel ein Präventionsprogramm zum Aufwärmen und zur Verletzungsprophylaxe entwickelt, das heißt Fifa 11+. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass es, wenn man dieses Programm verfolgt, weniger Verletzungen gibt. Das Programm ist so gestaltet, dass es jeder Breitensportler und Verein anwenden kann. Wenn es aber passiert ist, unterscheiden sich die Rehazeiten von Profi- und Amateursportlern deutlich. Kann man, oder darf man das vergleichen?
Boenisch: Das darf man nicht vergleichen. Jedes Krankheitsbild ist extra für sich zu betrachten. Wir heilen ja nicht mit einer Operation, wir unterstützen die Natur zu heilen. Das ist der wesentliche Ansatz. Wir versuchen die Strukturen wieder in die Position zu bringen, dass die Natur adäquat reagieren kann. Wie sie reagiert, hängt von den Verletzungen ab und von den Voraussetzungen des Körpers.
Elser: Ein Profisportler kann und muss sich den ganzen Tag um seinen Körper kümmern. Er hat normalerweise ein großes Team von Leuten um sich herum, das mithilft, dass er so schnell wie möglich wieder fit wird. Das ist nicht vergleichbar mit einem normalen Sportler.
Boenisch: Aber die Techniken und die Art der Anwendungen und die Art der Therapie-Empfehlungen sind absolut identisch. Beim Profisportler ist die Intensität der Behandlungen halt wesentlich höher. Das ist der Unterschied. Haben die Profis Spezialwünsche? Boenisch: Ganz am Anfang der Klinik, als wir noch kein Sky hatten, hat ein Spieler von Hannover 96 auf dem Balkon seine mobile Satellitenschüssel und seinen Einweg-Grill aufgebaut, um seine Würstel zu grillen.