Der unbekannte Dritte
Vor 50 Jahren schließt sich der Australier Peter Norman dem Black-Power-Protest zweier US-Sprinter an – eine Entscheidung, die ihm letztlich die Karriere kostet
Washington Als die amerikanische Nationalhymne ertönt, wird es schlagartig still auf den Zuschauerrängen des Olympiastadions in Mexiko-Stadt. Voller Spannung blicken am Mittag des 16. Oktober 1968 hunderttausende Menschen auf die drei Männer auf dem weißen Siegerpodest. Es ist ihr olympischer Sieg über 200 Meter. Es ist der Moment, auf den die Athleten jahrelang hingearbeitet haben. Es ist der Höhepunkt ihrer Karriere, und es ist gleichzeitig ihr Ende.
Auf dem dunklen Trainingsanzug des Amerikaners Tommie Smith glänzt die Goldmedaille. Mit 19,83 Sekunden über 200 Meter hat er an diesem Tag als erster Sprinter die magische Grenze von 20 Sekunden geknackt. Sein Landsmann, John Carlos, links neben ihm auf dem Podest, trägt die Bronze-Medaille um seinen Hals. Peter Norman, der bis dato unbekannte Australier im grünen Trainingsanzug, hat den Favoriten Carlos an diesem Tag mit einer Zeit von 20,06 Sekunden geschlagen und wird überraschend Zweiter. „Es war das Rennen seines Lebens“, sagt sein Neffe Matt Norman.
Die Hymne schallt seit wenigen Sekunden durch die Lautsprecher über die Stadionwiese. Dann passiert plötzlich das, womit niemand gerechnet hat: Smith und Carlos strecken ihre geballten Fäuste gen
Norman sagt, er sei für diesen Moment bestimmt gewesen
Himmel. Es ist ein Zeichen des Protests gegen die Diskriminierung von Schwarzen in den USA in Politik, Gesellschaft und Sport, eine Geste, die zum Symbol der Bürgerrechtsbewegung in den USA werden wird.
Doch auch der Australier Peter Norman ist Teil des Protests, wenn auch weniger offensichtlich: An seiner linken Brust trägt er während der Siegerehrung einen kleinen Anstecker mit der Aufschrift: „Olympic Project for Human Rights“. Es ist der Name einer Organisation, die sich vor Olympia gegen Rassismus im Sport einsetzt mit dem Ziel, die Spiele zu boykottieren. Der Boykott schlägt fehl, doch die Idee, ein Zeichen zu setzen, bleibt.
Kurz vor der Siegerehrung beschließen die drei Athleten, die Siegerehrung für ihren Protest zu nutzen, obwohl Protestaktionen vom IOC vor den Spielen ausdrücklich verboten worden waren. Rückblickend sagt Norman, er sei für diesen Moment bestimmt gewesen: „Der Grund, warum wir drei gemeinsam hier waren, war es, dieses Statement an diesem Tag abzugeben.“Denn auch in Normans Heimat Australien sind die sechziger Jahre eine unruhige Zeit. Der Staat verfolgt eine Weißen-Politik, die der indigenen Bevölkerung das Recht auf Staatsangehörigkeit und Wahlen abspricht. Indigene Kinder werden ihren Familien weggenommen, um in weißen Familien großgezogen zu werden.
Norman, in einem armen Vorort von Melbourne aufgewachsen, kommt früh mit verschiedenen Kulturen und Lebensentwürfen in Kontakt. „Ich konnte nie verstehen, warum jemand jemanden ablehnen oder bis zum äußersten Grad hassen würde, nur weil er eine andere Farbe hatte“, so Norman kurz vor seinem Tod 2006. „Du magst jemanden, weil du jemanden magst, und nicht aufgrund seiner Hautfarbe.“
Nur wenige Sekunden nach dem Black-Power-Gruß beginnen die Menschen im Stadion, die Athleten auszupfeifen. Die Pfiffe zeigen, wie vergiftet das Klima in der Gesellschaft damals ist. Während Smith und Carlos allerdings zumindest von Bürgerrechtlern und Schwarzen in den USA gefeiert werden, erfährt Norman zurück in Australien kaum Zuspruch – im Gegenteil. Denn obwohl sich Norman mehrmals für Olympia 1972 in München qualifiziert, darf er nicht teilnehmen. Seine Karriere ist abrupt beendet. Er ist sich sicher, dass es mit seinem Protest zusammenhängt. „Ich denke, Peters beeindruckendster Charakterzug war die Tatsache, dass er nie wütend war“, sagt sein Neffe heute.
Jahre nach seinem Tod wurde Peter Norman doch noch Ehre zuteil: Das Australische Olympische Komitee (AOC) verlieh ihm im Juni dieses Jahres posthum den „Order of Merit“, den höchsten Verdienstorden des AOC.