Zuviel auf einmal
Chris Kraus scheitert im zweiten Versuch
Mit seinem Roman „Das kalte Blut“hat der deutsche Filmemacher Chris Kraus der Literaturwelt einen schwer verdaulichen Brocken Vergangenheitsbewältigung hingeworfen. Eine wütende Abrechnung mit der deutschen Geschichte. Nun legt er mit „Sommerfrauen, Winterfrauen“nach. Zwar spielt diese als Liebesund Künstlerroman getarnte Geschichte in den 1990er Jahren von New York und ermöglicht die absurdesten Begegnungen in der von der eigenen Vergangenheit trunkenen Szene. Zwar philosophiert Kraus’ Protagonist, dieser zwischen seiner vietnamesischen Freundin Mah und der quirligen Goethe-Institut-Praktikantin
Nele hin und her gerissene Jonas Rosen, über Winterfrauen und Sommerfrauen. Aber auch hier drängt sich eine Episode aus der NS-Zeit ins Zentrum: Jonas Rosen, von seinem Filmprofessor Lila von Dornbusch – ein leicht verfremdeter Rosa von Praunheim – nach New York geschickt, um einen Sex-Film zu drehen, trifft dort auch seine „Tante Paula“, das ehemalige Kindermädchen der Familie und eine Überlebende des Holocaust dank Rosens verhasstem „Apapa“, einem SSMann. Die Aufarbeitung der deutschen Schuld lässt Kraus nicht los, doch in diesem Roman, der überquillt von schrillen Typen und Reminiszenzen der glorreichen Hippie-Zeit, wirkt die Nazi-Episode wie aufgepfropft. Da hat Chris Kraus wohl zu viel auf einmal gewollt.
Diogenes, 413 S, 24 Euro