Wirtschaftsweise rechnen mit deutlich weniger Wachstum
Gutachten Sachverständigenrat mahnt die Bundesregierung, sich besser für schlechtere Zeiten zu wappnen. Denn die Risiken nehmen zu
Berlin Die fünf Wirtschaftsweisen gehen in ihrem Jahresgutachten mit der Bundesregierung hart ins Gericht. In wichtigen Bereichen steuere diese in die falsche Richtung. So könne Deutschland den großen Herausforderungen, die die Zukunft bereithalte, nicht ausreichend begegnen. Unter anderem fordert der Sachverständigenrat eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt die Kritik offenbar ernst. Sie sieht Deutschland vor „wichtigen Weichenstellungen“. Auch die Bundesregierung habe die demografische Entwicklung und die Digitalisierung als Herausforderungen erkannt. Mit Fragen der internationalen Besteuerung müsse sich die Bundesregierung zudem intensiver auseinandersetzen, so Merkel am Mittwoch in Berlin.
In ihrem Jahresgutachten rechnen die Wirtschaftsweisen für 2019 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,5 Prozent. Im März hatten die Wissenschaftler noch 1,8 Prozent erwartet. Christoph Schmidt, der Vorsitzende des Sachverständigenrats, begründete die deutliche Korrektur der Prognose nach unten mit gewachsenen Risiken für die deutsche Volkswirtschaft. Als Hauptursache nannte er ungünstigere Rahmenbedingungen im internationalen Handel. Die wirtschaftliche Entwicklung drohe etwa bei einem möglichen ungeordneten Brexit, einem Wiederaufflammen der Eurokrise oder einer Eskalation der Handelskonflikte Schaden zu nehmen.
Im Inland hätten die Folgen der Dieselkrise in der Autoindustrie, aber auch Fachkräfteengpässe zu den gedämpfteren Erwartungen geführt. Der demografische Wandel werde in wenigen Jahren mit dem Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand voll durchschlagen und den Fachkräftemangel verschärfen. „Eine dauerhaft hohe beruflich qualifizierte Zuwanderung dürfte für die Sicherung des Wohlstands in Deutschland unverzichtbar sein“, heißt es in dem Gutachten. Um das bestehende Arbeitskräftepotenzial besser zu nutzen, sollten zudem Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausgebaut und bessere Möglichkeiten zur Rückkehr von Teilzeit- in Vollzeitjobs geschaffen werden. Einer „allmählichen Erhöhung des Renteneintrittsalters“bedürfe es auch im Hinblick auf die Stabilität der Renten.
Zu den weiteren Empfehlungen der Forscher gehören auch Maßnahmen zur Ausweitung des Wohnraumangebots. Im Kampf gegen explodierende Mieten und Wohnungsnot sei die Mietpreisbremse der falsche Weg. Stattdessen solle die Regierung besser Grund- und Grunderwerbsteuer reduzieren sowie das Wohngeld stärken.
Trotz gestiegener Risiken geht das Gremium insgesamt von einem weiter anhaltenden Aufschwung aus, wenn auch mit vermindertem Wachstumstempo. Der Sachverständigenrat aus fünf prominenten Wirtschaftswissenschaftlern, die jeweils für fünf Jahre berufen werden, sehe „keine akute Gefahr einer Rezession“, so Christoph Schmidt.
Die Empfehlung der fünf Weisen, die Bundesregierung solle sich aus der Industriepolitik heraushalten und sich darauf konzentrieren, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, stößt auf den Widerstand der Bundesregierung. Er teile diese Auffassung ausdrücklich nicht, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Der Staat solle sich zwar grundsätzlich so weit wie möglich zurücknehmen, in bestimmten Bereichen aber reiche das Engagement einzelner Unternehmen nicht aus – etwa bei der Batteriezellenfertigung. „Hier dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass diese Wertschöpfung in der Zukunft allein in Asien und den USA stattfindet“, so Altmaier. Eine „vorübergehende Anschubförderung“für die deutsche und europäische Industrie sei deshalb notwendig, „um schnell aufzuholen und wettbewerbsfähig zu werden“.