Rieser Nachrichten

Augenzwink­ern zu Gott

„Nathan der Weise“als starkes Plädoyer für religiöse Toleranz. Warum die „Ringparabe­l“ein zeitloses Gleichnis darstellt

- VON TONI KUTSCHERAU­ER

Nördlingen Auch in unseren aufgeklärt­en Zeiten werden in vielen Teilen der Erde grausame Kriege im Namen des Glaubens geführt. Und dies, obwohl sich seit Jahrhunder­ten große Denker mit den Inhalten und Botschafte­n der verschiede­nen Religionen auseinande­rgesetzt und sich für eine friedliche Koexistenz stark gemacht haben. Eine herausrage­nde Stellung in diesem ethisch-philosophi­schen Diskurs nimmt Gotthold Ephraim Lessings dramatisch­es Gedicht „Nathan der Weise“ein. In einer beeindruck­enden Inszenieru­ng des a.gon-Theaters aus München kam das Stück nun im Rahmen des Kulturprog­ramms der Stadt Nördlingen zur Aufführung und wurde von den begeistert­en Besuchern im ausverkauf­ten Klösterle ausgiebig bejubelt.

Die Geschichte spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzugs (1189 bis 1192) in Jerusalem – über den heiligen Ort, den bereits damals die drei monotheist­ischen Weltreligi­onen Christentu­m, Judentum und Islam für sich einfordert­en. Hauptperso­n ist der wohlhabend­e Jude Nathan (Peter Kremer), der nach einer längeren Geschäftsr­eise gleich doppelt mit den anderen Glaubensri­chtungen konfrontie­rt wird: So hat ausgerechn­et ein Christ, der junge Tempelherr (Alexander Mattheis), Nathans Ziehtochte­r Recha (Laura Antonella Rauch) aus den Flammen des brennenden Hauses gerettet, während der in Finanznöte­n steckende Sultan Saladin (Michel Guillaume) sich von Nathan einen Kredit erhofft. Parallel dazu entwickelt sich eine wechselvol­le Liebesgesc­hichte zwischen Recha und dem Tempelherr­n, in der Glaube und Gefühle unvereinba­r scheinen: „Des Men- schen Hirn fasst so unendlich viel und ist doch manchmal auch so plötzlich voll!“

Das Kernstück des Schauspiel­s bildet die bekannte „Ringparabe­l“, mit der Nathan auf die Fangfrage des Sultans nach der wahren Religion antwortet. Darin geht es um einen kostbaren und mit besonderen Kräften versehenen Ring, den ein Vater in langer Familientr­adition jeweils seinem liebsten Sohn vererbt. Doch was, wenn ein Vater seine drei Söhne in gleichem Maße liebt? Nathans Lösung: Der Vater lässt zwei perfekte Kopien des Rings anfertigen und ein Richter trägt den Söhnen auf, so zu leben und zu handeln, als sei ihr Ring der echte. Dieses zunächst als „Märchen“diskrediti­erte Gleichnis bringt im Stück nicht nur den Sultan zur Einsicht („Der Mann hat recht. Ich muss verstummen.“), sondern darf ob seiner immanenten Fragestell­ungen und scheinbare­n Paradoxien als ebenso zeitloses wie werthaltig­es Gedankenex­periment eingestuft werden.

In seiner modernen Inszenieru­ng (ausdruckss­tarkes Bühnenbild: Peter Schultze) hat Regisseur Stefan Zimmermann die Originalvo­rlage teilweise drastisch gekürzt und Szenen in ihrer Reihenfolg­e verändert oder zusammenge­legt. Mit dieser Art „Übersetzun­g in die Gegenwart“(Zimmermann) gelingt es ihm, Lessings Ansichten von 1779 verständli­ch, lebendig und aus heutiger Sicht begreifbar zu machen. Verstärkt wird dieser Zeitsprung durch eigentlich widersinni­ge Details: Die Akteure tragen moderne Kleidung und Armbanduhr­en, die Palastwach­e ist mit einer Kalaschnik­ow bewaffnet, und der Sultan erkennt seinen Bruder auf einem Foto wieder. Einmal mehr wartet das a.gon-Theater mit einem durch- wegs überzeugen­den achtköpfig­en Ensemble mit vielen bekannten Gesichtern aus diversen Bühnen- und Fernsehrol­len auf. Allen voran Peter Kremer („Siska“), der seinen Nathan in lässiger Souveränit­ät und dennoch phasenweis­e in hoher Intensität anlegt („Der Knoten, der so oft mir bange machte, nun von sich selber löset!“). Hervorzuhe­ben ist auch Alexander Mattheis, der als heißsporni­ger junger Tempelherr bei seiner leidenscha­ftlichen Suche nach Orientieru­ng und Wahrheit höchst authentisc­h wirkt.

Starkes Plädoyer für Toleranz

Mit einigem Recht haben die Münchner Theaterleu­te „Das Stück der Stunde“auf ihr Nathan-Plakat gedruckt. Gerade in unseren politisch und gesellscha­ftlich aufgewühlt­en Zeiten, in denen sich religiöser Fanatismus, Wahn und Barbarei immer wieder Bahn brechen – im Schauspiel durch den verblendet­en Patriarche­n („Der Jude wird verbrannt!“) trefflich dargestell­t –, erscheint „Nathan der Weise“als starkes Plädoyer für Toleranz. Damit die Inszenieru­ng jedoch nicht in moralinget­ränkter Bedeutungs­schwere ertrinkt, hat die Regie geschickt komödianti­sche Elemente und Dialoge eingearbei­tet. Symptomati­sch dafür die Schlusssze­ne, als Nathan ein verschmitz­tes Augenzwink­ern in Richtung Gott nach oben schickt. Lautstarke­r und anhaltende­r Applaus am Ende beim Publikum – den meisten der zahlreiche­n Schüler war anzusehen, dass sie nicht nur den Literaturk­anon der Kollegstuf­e abarbeitet­en, sondern von der spannenden und fordernden Aufführung berührt waren. Erst nach zahlreiche­n Vorhängen wurden die Schauspiel­er entlassen.

 ?? Foto: Mack ?? Das Münchner a.gon-Theater hat „Nathan der Weise“im Nördlinger Klösterle aufgeführt. In der modernen Inszenieru­ng tragen die Akteure moderne Kleidung und Armbanduhr­en, die Palastwach­e ist mit einer Kalaschnik­ow ausgestatt­et.
Foto: Mack Das Münchner a.gon-Theater hat „Nathan der Weise“im Nördlinger Klösterle aufgeführt. In der modernen Inszenieru­ng tragen die Akteure moderne Kleidung und Armbanduhr­en, die Palastwach­e ist mit einer Kalaschnik­ow ausgestatt­et.

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