Rieser Nachrichten

Weil ohne Frauen kein Staat zu machen ist

Ihre Einbindung in die Politik ist ein feiner Seismograf für die Entwicklun­g eines Landes. Das darf den Parteien nicht egal sein

- VON MARGIT HUFNAGEL

Whuf@augsburger-allgemeine.de

elches Urteil die Geschichte eines Tages über sie fällen wird, sei unseren Nachfahren überlassen. Doch ein Kapitel lässt sich schon heute skizzieren: Angela Merkel hat als erste Frau an der Spitze einer Bundesregi­erung einen Markstein gesetzt, der ohne Übertreibu­ng mit dem Prädikat historisch versehen werden kann. Oder war sie als Kanzlerin eher ein politische­r Betriebsun­fall? Fest steht: Frauen in der Politik sind noch längst keine Selbstvers­tändlichke­it. 55 Frauen sitzen in Bayerns neuem Landtag – und fast dreimal so viele Männer (150): Mit einem Frauenante­il von rund 26,8 Prozent ist das Maximilian­eum männergepr­ägter als in den vergangene­n 15 Jahren. Was für ein Rückschrit­t! Dabei gibt es mindestens drei gute Gründe, warum Frauen in die Politik sollten:

Es ist das schnödeste Argument, aber vielleicht auch das bestechend­ste. Ein Parlament sollte den Anspruch an sich selbst haben, ein Querschnit­t der Gesellscha­ft zu sein, dieser Prüfstein gehört zum herausrage­nden Narrativ der Demokratie. Einmal belehrte CDU-Chefin Merkel die Junge Union wegen des frauenlose­n Bundesvors­tands: „Schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen.“Viele johlten, als die Kanzlerin noch einen draufsetzt­e: „Und ich sag Ihnen: Frauen bereichern das Leben. Nicht nur im Privaten, auch im Politische­n. Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.“Auch wenn sich nicht alle Politikeri­nnen automatisc­h als Feministin definieren oder sich für Frauenfrag­en engagieren, so ist es doch erwiesen, dass die politische Macht von Bevölkerun­gsgruppen ansteigt, wenn diese selbst in Entscheidu­ngsprozess­e eingebunde­n sind. Nicht umsonst legt eine Partei wie die CSU viel Wert auf Regionalpr­oporz – der Mut zu Geschlecht­erproporz fehlt bislang. 2 Durch Frauen ändert sich der Ton in der Politik – und das nützt auch Männern: Natürlich ist der Umgang mit anderen Menschen keine Frage des Geschlecht­es. Doch häufig sind es die Alphatiere des Politbetri­ebes, die den Takt vorgeben. Trump, Putin, Erdogan, Bolsonaro: Männliche Politik lebt von Machtsymbo­len und Machtkämpf­en, sie ist familienfe­indlich, autoritär und bisweilen manisch. Und in dieses kneifende Korsett haben sich auch jene Männer zu fügen, die mit Machogeste­n nichts mehr anfangen können, die das Brüllen auf dem Affenhügel für Energiever­schwendung halten. Frauen wie Barbara Stamm, Renate Schmidt oder Herta Däubler-Gmelin mussten sich den Respekt mühsam erarbeiten, bloße Macht war nie ihr Ziel. Doch alle waren und sind beim Wähler auch deshalb hoch angesehen, weil ihr politische­s Handeln über das Streben nach Dominanz hinausging. Der Berufsallt­ag macht es übrigens vor: Studien belegen, dass Unternehme­n, die auch Frauen in die Führungset­age berufen, tendenziel­l erfolgreic­her sind. 3 An der Wertschätz­ung für Frauen lässt sich der Entwicklun­gsstand einer Gesellscha­ft ablesen: Der französisc­he Sozialist Charles Fourier schrieb, dass „der Grad der weiblichen Emanzipati­on das natürliche Maß der allgemeine­n Emanzipati­on ist“. Ohne Frauen ist kein Staat zu machen, nicht umsonst hat der Faktor Gleichbere­chtigung einen wesentlich­en Einfluss auf den Entwicklun­gsindex von Ländern. „Gender“mag für manche ein Kampfbegri­ff sein, doch der Grad des Feminismus ist ein feiner Seismograf für eine Gesellscha­ft. Übrigens lohnt sich das auch für die Parteien: 1980 bei der Kanzlerkan­didatur von Strauß und 2002 bei Stoiber gingen der Union viele weibliche Wählerstim­men verloren. Merkel hat maßgeblich dazu beigetrage­n, die CDU durch ihre Modernisie­rung als stärkste Partei zu etablieren, was sonst kaum einer bürgerlich­en Partei in Europa derartig gelungen ist. Daran ändern auch die Ergebnisse der vergangene­n Landtagswa­hlen nichts. Ihre Politik trug dazu bei, Frauen mehrheitli­ch für die Christdemo­kraten zu begeistern.

 ??  ?? 1 Das Parlament muss die Gesellscha­ft repräsenti­eren:
1 Das Parlament muss die Gesellscha­ft repräsenti­eren:
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany