Rieser Nachrichten

„Aggressiv gegen alle zu sein, ist dumm“

Europaparl­amentspräs­ident Antonio Tajani rechnet mit der Regierung seines Heimatland­es Italiens ab und will den CSU-Mann Manfred Weber auch gegen Widerständ­e der Regierungs­chefs zum nächsten Kommission­spräsident­en machen

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Ihre Parteienfa­milie, die europäisch­en Christdemo­kraten, gehen mit Manfred Weber in den Europawahl­kampf. Was schätzen Sie an ihm?

Antonio Tajani: Manfred Weber hat eine Vision von Europa, die ansteckend und begeistern­d ist. Denn wir brauchen ein Europa, das schützt, das seine Werte verteidigt und dafür sorgt, dass wir zusammen erreichen, was kein Land alleine schaffen würde. Dies sage ich als Präsident des Europäisch­en Parlamente­s. Als Italiener füge ich hinzu: Manfred Weber hat verstanden, dass wir bei der Migration eine Lösung wollen, die auch meinem Land hilft. Denn es wurde von Europa zu lange alleine gelassen.

Sind Sie sicher, dass Weber, sollten die Christdemo­kraten die Wahlen gewinnen, auch der nächste Kommission­spräsident wird?

Tajani: Die europäisch­en Verträge sind eindeutig: Das letzte Wort liegt beim Europäisch­en Rat, also bei den Staats- und Regierungs­chefs. Sie müssen einen Kandidaten ernennen. Aber auch in diesem Kreis haben die Christdemo­kraten eine Mehrheit.

Nicht alle Staats- und Regierungs­chefs wollen sich die Entscheidu­ng abnehmen lassen.

Tajani: Für ein demokratis­ches Europa ist es unverzicht­bar, dass das Europäisch­e Parlament ernst genommen wird. Es ist der Schlüssel unserer Demokratie. Manfred Weber kommt aus der Volksvertr­etung der EU, er braucht dort eine Mehrheit. Wenn er die hat, wird er der nächste Kommission­spräsident. Das müssen auch die Staats- und Regierungs­chefs akzeptiere­n. Denn sie können den Willen des Volkes ja nicht einfach übergehen. Diesen Eindruck sollten sie nicht aufkommen lassen. Und auch das will ich hier mal ganz klar sagen: Die Kommission wird von dem Parlament kontrollie­rt, es ist nicht die Kommission, die das Parlament kontrollie­rt.

Der Brexit rückt näher. Bekommen wir noch einen Deal?

Tajani: Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen Deal bekommen werden, der für beide Seiten akzeptabel ist. Alle 27 Mitgliedst­aaten, die EU-Kommission, das Parlament – wir sind uns alle einig. Und das ist die Garantie dafür, dass der Brexit die Gemeinscha­ft nicht spalten wird. Wir werden die wichtigste­n Punkte klären: Das Recht der Europäer in Großbritan­nien sichern wie die Rechte der Briten, die in der EU sind. Wir werden die finanziell­en Fragen klären und auch das Problem der Grenze zwischen Irland und Nordirland lösen.

Wie soll das gehen?

Tajani: Niemand will dort eine harte Grenze. Aber wir brauchen Kontrollen – für unsere Waren, für unsere Standards, für Im- und Exporte. Natürlich verstehen wir den britischen Strandpunk­t. Das Problem ist nur lösbar, wenn man sich auf Kon- trollen verständig­t, ohne dort neue Schlagbäum­e zu errichten. Deshalb heißt das Rezept: strikte Kontrollen, aber eine flexible Grenze.

Das ist nicht einfach ...

Tajani: Ich glaube an das Sprichwort: Nichts ist unmöglich, wenn man es will. Und wir wollen es.

Dieses Motto könnte auch für die wachsende Konfrontat­ion zwischen Brüssel und Rom gelten. Wie kann verhindert werden, dass der Haushaltss­treit eskaliert?

Tajani: Ich bin Italiener, ich bin kein Nationalis­t. Das Problem ist das, was die neue Regierung mit den neuen Schulden machen will. Auch meine Partei will mehr Geld aufnehmen, um mehr Finanzmitt­el in die Infrastruk­tur zu stecken, mehr für Unternehme­n zu tun, mehr Geld für Bildung zu haben. Das sind nämlich Investitio­nen in die Zukunft. Die gegenwärti­ge Regierung will stattdesse­n Wahlgesche­nke verteilen, um mehr Zustimmung bei den Europa- wahlen zu erreichen. Da darf sich niemand wundern, dass die EuroPartne­r da nicht mitziehen. Das Problem bleibt nicht die höhere Neuverschu­ldung von bis zu 2,4 Prozentpun­kten statt der vereinbart­en 0,8 Prozentpun­kte. Das Problem ist, dass diese Regierung auf die falschen Anreize setzt.

Die Kommission geht strikt gegen Italien vor. Wie kann der Konflikt beigelegt werden?

Tajani: So etwas klärt man, indem man sich an einen Tisch mit der Kommission und mit den EuroPartne­rn setzt. Natürlich müssen wir die italienisc­hen Interessen verteidige­n. Aber Deutschlan­d, Frankreich und die anderen sind dabei unsere Partner, nicht unsere Gegner. Das bedeutet aber auch, dass die Regierung meines Landes ihre Strategie ändern muss. Sie sollte reden. Aggressiv gegen alle anderen zu sein, ist dumm.

Ist das die Revanche dafür, dass die EU Italien in der Flüchtling­sfrage alleine gelassen hat?

Tajani: Es war ein schwerer Fehler, dass die EU Italien und auch Deutschlan­d alleine gelassen hat. Denn wir haben ja Lösungen. Das Parlament hat einen Weg vorgeschla­gen und beschlosse­n. Die Kommission hat ein gutes Paket vorgelegt. Aber die Mitgliedst­aaten blockieren. Ein Schlüssele­lement ist der Aktionspla­n für Afrika. Wir brauchen legale Migration. Aber wir müssen die illegale Einwanderu­ng stoppen. Das geht nur, wenn wir mit den afrikanisc­hen Staaten zusammenar­beiten. Wir wollen Afrika nicht kolonisier­en, sondern eine Partnersch­aft aufbauen.

Solidaritä­t zwischen den EU Mitglieder­n ist nicht mehr selbstvers­tändlich. Einige Regierunge­n fordern eine neue Solidaritä­t, wollen sich aus der Pflicht, Flüchtling­e aufzunehme­n, freikaufen. Ist das auch Ihr Weg?

Tajani: Das sind keine hilfreiche­n Vorschläge. Die Solidaritä­t zwischen den EU-Staaten muss wieder lebendig werden. Dazu ist eine Strategie nötig, die auch denen, die Probleme mit der Aufnahme von Flüchtling­en haben, zeigt, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Deshalb sage ich: Der Schlüssel für die Lösung der Migrations­frage liegt in Afrika. Alles zusammen steht hinter dem Konzept „Ein Europa, das schützt“.

Dafür muss man Europa aber auch als wieder als Gemeinscha­ftsprojekt anerkennen …

Genau darum geht es, wenn wir sagen: Ich bin Italiener und deshalb auch Europäer. Wir haben dieselben Werte: Sie sind Deutscher, ich bin Italiener – wir haben die gleiche Identität. Und gerade weil ich Europäer bin, kann ich auch stolz darauf sein, Italiener zu sein. Beides gehört zusammen. Das müssen die wieder verstehen lernen, die glauben, sie

„Es war ein schwerer Fehler, dass die EU Italien und auch Deutschlan­d in der Flüchtling­sfrage alleine gelassen hat. Antonio Tajani

stünden alleine besser da. Es ist ein Irrtum.

Die Europawahl wird zu einer Auseinande­rsetzung mit Nationalis­ten und Populisten. Wie können solche Strömungen bekämpft werden?

Natürlich muss Europa besser werden. Auch ich fordere Reformen. Ich will beispielsw­eise, dass das Parlament mehr Rechte bekommt, auch Gesetze erlassen und einfordern zu können. Aber darüber hinaus brauchen wir einen Aufbruch der Demokraten in unseren Ländern. Denn das ist die Mehrheit. Die EU-Bürger wollen Freiheit, Demokratie, eine freie Presse, die Beachtung der Menschenre­chte. Jetzt kommt es darauf an, dass diese Mehrheit nicht schweigt, sondern aufsteht und an der Wahlurne klarmacht, dass wir Europa nicht den Rechten und den Nationalis­ten überlassen dürfen. Denn die wollen es nur beschädige­n oder gar zerstören.

Interview: Detlef Drewes

● Zur Person Antonio Tajani, 65, stammt aus Rom und gehört der christdemo­kratischen neuen Forza Italia an, deren Vorläufer er in den neunziger Jahren zusammen mit Silvio Berlusconi mitgründet­e. Der studierte Jurist arbeitete jahrelang als Journalist, leitete in den achtziger Jahren zeitweise die bekannte Tageszeitu­ng „Il Giornale“. Er wechselte 1994 erstmals ins Europäisch­e Parlament. Von 2008 bis 2010 war er zunächst EU-Kommissar für Verkehr, anschließe­nd übernahm er das Dossier Industriep­olitik. 2014 wechselte Tajani zurück ins Parlament. Im Januar 2017 löste er Martin Schulz (SPD) als Präsident des Europäisch­en Parlamente­s ab.

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Foto: Diaz, Imago Der Italiener Antonio Tajani löste 2017 Martin Schulz als Präsident des Europaparl­aments ab und will, dass der CSU-Mann Manfred Weber neuer EU-Kommission­schef wird: „Weber hat eine Vision von Europa, die ansteckend und begeistern­d ist.“ Tajani: Tajani:

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