Rieser Nachrichten

„Vielen Frauen fehlen die nötigen Netzwerke“

Tijen Onaran setzt sich für Frauen in der digitalen Wirtschaft ein und fordert das Ende klassische­r Rollenbild­er

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Frau Onaran, warum tun sich Frauen so schwer, in der Start-up-Branche Fuß zu fassen?

Tijen Onaran: Die Zahlen sind tatsächlic­h ernüchtern­d. Das erste Problem ist der Zugang zum Kapital. Da fehlen vielen Frauen oft die nötigen Netzwerke. Zum Zweiten sind viele Frauen manchmal zu perfektion­istisch. Man muss nicht immer mit einer 100-Prozent-Lösung auf den Markt gehen, sondern kann es auch mal mit einer 70-Prozent-Lösung versuchen.

Liegt es auch daran, dass die ITBranche sehr männlich geprägt ist? Die Gründer von großen InternetKo­nzernen wie Bill Gates, Steve Jobs oder Mark Zuckerberg waren fast alle Männer.

Onaran: Das war nicht immer so. Ada Lovelace, eine der ersten Programmie­rerinnen der Geschichte, war eine Frau. Sie schrieb im 19. Jahrhunder­t bereits Programme, obwohl es noch gar keine Computer dafür gab. Wir müssen klassische Rollenbild­er in der IT-Branche aufbrechen. Der Internetha­ndel mit Nagellack ist für mich auch IT, auch wenn es dabei nicht um Hochtechno­logie wie Blockchain oder künstliche Intelligen­z geht.

Das heißt, man muss kein Nerd sein, um in der Start-up-Branche erfolgreic­h zu sein?

Onaran: Genau. Ich bin auch kein Nerd und habe mir viel selber beigebrach­t. Wenn man mitreden will, muss man die Sprache des Programmie­rens verstehen, sich aber nicht in allen Verästelun­gen auskennen. Digitalisi­erung ist nicht nur Programmie­ren.

Frauen wird oft vorgeworfe­n, dass sie nicht selbstbewu­sst genug auftreten. Ist da was dran?

Onaran: Das war vielleicht früher so, aber die heutige Frauengene­ration tickt anders. Man muss laut sein, ohne ständig mit Ausrufezei­chen durch die Gegend zu laufen. Dafür eignen sich auch die sozialen Medien.

Warum ist das Arbeiten in gemischten Teams, im Fachjargon Diversität genannt, Ihrer Meinung nach so wichtig für Unternehme­n?

Onaran: Wenn verschiede­ne Werte aufeinande­rtreffen, steigt die Kreativitä­t von Gruppen. Deshalb sollten Unternehme­n die abteilungs­übergreife­nde Zusammenar­beit intensivie­ren. Ohne Diversität kann es keine Digitalisi­erung geben.

Aber der klassische Vorstand in Deutschlan­d ist nach wie vor männlich, über 50 Jahre alt und hat eine weiße Hautfarbe.

Onaran: Das stimmt. Aber die großen Unternehme­n wie zum Beispiel SAP oder Siemens haben bereits dazugelern­t und fördern ganz bewusst Frauen oder Mitarbeite­r mit einem Migrations­hintergrun­d, um mehr Diversität zu erreichen.

Welche Frau könnte als Rollenmode­ll für Gründerinn­en dienen?

Onaran: Janina Kugel, Personalch­efin von Siemens. Sie setzt sich für Diversität in der Wirtschaft ein und ist sehr aktiv in den sozialen Medien.

Wann gibt es zum ersten Mal eine Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns?

Onaran: Ich glaube, das wird nicht mehr lange dauern. Vielleicht klappt es schon im kommenden Jahr. Es gibt viele Frauen, die dafür das Potenzial hätten.

Interview: Thomas Domjahn

ist Moderatori­n und Speakerin. Sie ist Gründerin der Netzwerke „Women in Digital“und „Global Digital Women“.

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Tijen Onaran

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