Rieser Nachrichten

Frauen an die Macht!

Die neue Koalition aus CSU und Freien Wählern hat ein großes Frauenprob­lem. Dabei hat schon ein Ministerpr­äsident Seehofer versproche­n, seine Partei jünger, weiblicher, moderner zu machen. Sein Nachfolger tut sich schwer damit

- Von Andrea Kümpfbeck

20. Oktober 1994. Der neue Bayerische Landtag tritt zu seiner ersten Sitzung zusammen. „Zum Auftakt geben die Frauen den Ton an“, schreibt unser Münchner Korrespond­ent an diesem Tag. Weil erstmals in der Geschichte des Freistaats mit der damals 70-jährigen Alterspräs­identin Anneliese Fischer eine Frau den Landtag eröffnet. Sie sagt: „Es ist ein ermutigend­es Zeichen, dass Frauen in Gesellscha­ft und Politik in verstärkte­m Maße Verantwort­ung tragen.“

Mit Renate Schmidt von der SPD gibt es 1994 auch die erste Fraktionsc­hefin. Und noch eine Frau rückt bei der Auftaktver­sammlung in den Vordergrun­d – als Schriftfüh­rerin: Die damals 29-jährige Elektrotec­hnikerin Ilse Aigner aus dem Chiemgau, die die zweitjüngs­te Abgeordnet­e ist und „die bereits als die Miss Landtag der kommenden Legislatur­periode gehandelt wird“. Netter Randaspekt aus heutiger Sicht: Assistiert hat ihr der damals jüngste Abgeordnet­e, der 27-jährige Markus Söder aus Nürnberg.

So war das also vor fast 25 Jahren, als im Bayerische­n Landtag von den 213 Abgeordnet­en plötzlich 44 Frau- en waren. Eine kleine Revolution. In den Jahren danach stieg der Frauenante­il kontinuier­lich an – bis auf knapp ein Drittel im Jahr 2008.

Und heute? Sind wir fast auf den Stand von vor 20 Jahren zurückgefa­llen. 55 Frauen sind im neuen Landtag – und fast dreimal so viele Männer, nämlich 150. Im bundesweit­en Vergleich liegt der Freistaat damit – ansonsten immer um die Top-Platzierun­g bemüht – auf dem fünftletzt­en Platz. Nur in Sachsen-Anhalt, Niedersach­sen, Mecklenbur­g-Vorpommern und Baden-Württember­g sitzen noch weniger Frauen in den Parlamente­n. Im Bundestag stellen Frauen übrigens 30,9 Prozent der Abgeordnet­en.

„Es ist ein Armutszeug­nis“, sagt die Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze. „Wir haben das Jahr 2018.“Und in diesem Jahr sind eben mit der FDP und der AfD zwei besonders männerdomi­nierte Parteien mit einem Frauenante­il von unter zehn Prozent ins Parlament eingezogen. Bei der CSU liegt der Frauenante­il bei 21 Prozent. Bei den Freien Wählern, dem neuen Regierungs­partner, bei 22,2 Prozent. Ein weiterer Männervere­in in einem Land, in 51 Prozent der Bevölkerun­g weiblich sind. Sind wir also auf dem Weg zurück zu einem bayerische­n Macho-Parlament? Wo nur bei den Grünen und der dezimierte­n SPD die Frauen den Anteil stellen, den sie auch in der Gesellscha­ft haben?

Dabei war auch die CSU auf einem guten Weg. Ein Ministerpr­äsident Horst Seehofer rief in seiner Anfangszei­t ausdrückli­ch die „neue CSU“aus. Die Partei sollte zur „Mitmachpar­tei“werden, „jünger, weiblicher und moderner“, wie er gebetsmühl­enartig betonte. In seinem ersten Kabinett, das er vor zehn Jahren zusammen mit der FDP bildete, ließ Seehofer keine CSU-Minister mehr zu, die älter als 60 Jahre waren. Und auf einem Parteitag setzte er eine Frauenquot­e in Parteigrem­ien auf Landes- und Bezirksebe­ne durch.

Dann ging der CSU-Chef nach Berlin. Verhandelt­e die Große Koalition. Und während die CDU und die SPD ihre Ministerpo­sten in der neuen Bundesregi­erung paritätisc­h mit Frauen und Männern besetzten, vergaben die Christsozi­alen die drei großen Ministerie­n Inneres, Verkehr und Entwicklun­g an – Männer. Für Dorothee Bär, die einzige Frau in der Runde, blieb der Posten einer Staatsmini­sterin im Kanzleramt. Viel Hohn und Spott erntete „FrauenFörd­erer“Seehofer dann auch für das Foto, das bei der Vorstellun­g seiner Führungsma­nnschaft im Innenminis­terium entstand. Es zeigt das Spitzenper­sonal des CSU-Chefs, das unter seiner Leitung die verschiede­nen Bereiche des Ministeriu­ms führt: drei parlamenta­rische und fünf beamtete Staatssekr­etäre. Allesamt Anzugträge­r, allesamt Männer.

In Bayern regiert derweil Markus Söder. Der nächste Ministerpr­äsident, der bei der Kabinettsu­mbildung Anfang des Jahres die neue Staatsregi­erung ein „Signal für Erneuerung und Aufbruch“nennt. „Das gesamte Kabinett wird jünger, und es wird weiblicher“, sagte er im Landtag bei der Vereidigun­g des Kabinetts. In Wirklichke­it gab’s genau eine Staatssekr­etärin mehr als zuvor.

Fünf CSU-Frauen waren bisher Ministerin­nen. Noch bastelt Söder an seinem Kabinett, aber wie es aussieht, werden eher weniger als mehr Spitzenämt­er mit Frauen besetzt werden. Wobei Insider berichten, dass der Ministerpr­äsident vielleicht sogar den bisher „heiligen“Regiodem nalproporz zugunsten einer geschlecht­ergerechte­n Postenvert­eilung vernachläs­sigen könnte.

Denn selbst in weiten Teilen der CSU scheint langsam ein Sinneswand­el stattzufin­den. Die gerade ausgeschie­dene Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm beispielsw­eise sagt: „Ich war ja immer gegen eine Quote, aber heute bin ich völlig anderer Meinung“. Und die Chefin der FrauenUnio­n und CSU-Vize Angelika Niebler sagt: „Jetzt ist der Ministerpr­äsident gefordert.“Die FrauenUnio­n hat bei ihrer Landesvers­ammlung im Oktober ausdrückli­ch gefordert: „Einen geringeren Frauenante­il als im letzten Kabinett darf es nicht geben“. Denn wenn man Volksparte­i sein wolle, müsse man auch den Querschnit­t der Gesellscha­ft repräsenti­eren. Diese Erkenntnis habe sich auch in ihrer Partei längst durchgeset­zt, sagt Niebler. „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungs­problem.“Zusammen mit der oberbayeri­schen Bezirksvor­sitzenden Ilse Aigner verlangt Niebler eine Strategie, um mehr Frauen in Direktmand­ate zu bringen.

Denn, das betont auch Barbara Stamm, die selbst trotz des Listenplat­zes 1 aus dem Landtag geflogen ist: „Das Defizit in der CSU ist, dass Frauen insgesamt so wenige Direktmand­ate haben. Über die Liste ist dieses Mal kein einziger Abgeordnet­er in den Landtag gekommen. Doch bei den Direktmand­aten kommen Frauen bei uns nicht so zum Zug.“

Es liegt also an der Basis, die im Stimmkreis jeden einzelnen Kandidaten aufstellt. Ob eine von oben verordnete Quoten hilft, wenn an der Basis die Frauen fehlen? Bei Grünen und SPD jedenfalls funktionie­rt die Frauenquot­e. Junge Frauen aber wollen die Quote meistens nicht. Sie möchten durch Leistung vorankomme­n und nicht als „Quotenfrau­en“. Wenn sie älter werden, sind die meisten Frauen dann dafür. Weil sie erlebt haben, dass sich sonst nichts oder nur langsam etwas ändert.

Ilse Aigner, die als die Schriftfüh­rerin im Landtag 1994 auf sich aufmerksam machte, ist inzwischen bekanntlic­h Landtagspr­äsidentin. Und auch wenn sie, wie am Mittwoch bei einem Staatsakt in München, ein paar Schritte vor ihrem einstigen Assistente­n Söder das Nationalth­eater betritt: Er hat es zum Ministerpr­äsidenten von Bayern gebracht.

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