Rieser Nachrichten

Frauen – Macht – Politik

100 Jahre ist es her, dass Frauen das Recht zu wählen erlangten. Einfach gegeben wurde es ihnen nicht. Der Weg zur politische­n Teilhabe war lang und mit vielen Vorbehalte­n gepflaster­t. Und er ist noch nicht zu Ende

- VON DORINA PASCHER

Frauen gehen studieren. Frauen leiten Konzerne. Frauen machen Politik. Selbstvers­tändlich, denkt man sich bei der Aufzählung. Doch ist es das? 100 Jahre ist es her, dass Frauen das Wahlrecht erlangten. Einfach gegeben wurde es ihnen nicht. Generation­en von Frauenrech­tlerinnen haben für die politische Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen gekämpft. Sie gingen auf die Straße und schlossen sich in Verbänden zusammen. Dafür wurden sie hart bestraft und verfolgt.

Der Weg zum Frauenwahl­recht war gepflaster­t von Vorurteile­n und Ungerechti­gkeit. In Frankfurt am Main entstand eine der größten Frauenbewe­gungen. Rund 800 Frauen waren Mitglied im Ortsverein des Bundes Deutscher Frauenvere­ine. In ganz Deutschlan­d konnte der Verband rund 500 000 bis 800000 Mitglieder zählen, wie Dorothee Linnemann erläutert. Die Historiker­in kuratiert die Ausstellun­g „Damenwahl!“, die zurzeit im Historisch­en Museum Frankfurt zu sehen ist. Viele der Frauenvere­ine hatten zunächst einen wohltätige­n Zweck. Sie wollten die Bildung für Mädchen verbessern oder forderten bessere Arbeitsbed­ingungen für Frauen. Politische Rechte wie das Wahlrecht wurden erst später reklamiert. Bis 1908 war es den Frauen nicht erlaubt, sich in politische­n Vereinen oder Parteien zu engagieren. Waren sie eine Gefahr für das Deutsche Kaiserreic­h? Zumindest galten die Frauenstim­mrechtsver­eine als bedrohlich. Viele standen unter polizeilic­her Überwachun­g.

Lange wurden die Forderunge­n nach politische­r Teilhabe ignoriert oder mit abstrusen Vorbehalte­n beiseitege­wischt. Der Psychologe Paul Möbius attestiert­e den Frauen, dass sie zu emotional seien, um Politik zu machen. Auch in der Medizin wurden biologisti­sche Argumentat­ionen vorgeschob­en, wie Linnemann sagt: „Damals waren Ärzte der Ansicht, dass Frauen ein kleineres Gehirn hätten als Männer.“Frauen sollten sich nach Ansicht der Gegnerinne­n und Gegner des Frauenwahl­rechts auf das besinnen, was für sie vorgesehen war: die Erziehung der Kinder und die Pflege des Haushalts.

Umso bemerkensw­erter war es, als Frauen ab 1900 die Sphäre des Privaten verließen und mit ihrem Anliegen in die Öffentlich­keit traten. „Die Demonstrat­ionen für das Frauenwahl­recht waren zu der Zeit ein Skandal“, sagt Historiker­in Linnemann. Für viele waren die Protestakt­ionen ein Ärgernis. Demons- ihrer Anfangszei­t mehr eine Männerpart­ei. Seit den 2000er Jahren bevorzugen Frauen die Grünen. Dagegen wählen Männer eher FDP oder Die Linke. Das Gleiche gilt für die AfD. Bei der Bundestags­wahl 2017 wählten 12,6 Prozent der Männer die Alternativ­e für Deutschlan­d, bei den Frauen waren es 9,2 Prozent.

● Ob Frauen und Männer zu Sachfragen unterschie­dlich abstimmen, ist laut Politikwis­senschaftl­erin Fuchs für Deutschlan­d bislang nicht untersucht worden. Laut Forschunge­n aus der Schweiz würden Frauen eher sozialer und ökologisch­er wählen. (dp)

mung mündete in die Novemberre­volution 1918 und in die Ausrufung der Republik. Am 30. November 1918 trat das neue Reichswahl­gesetz in Kraft. Die Frauenrech­tsbewegung war am Ziel.

Bei der Wahl zur Nationalve­rsammlung am 19. Januar 1919 durften Frauen zum ersten Mal wählen – und gewählt werden. Beide Rechte nahmen sie wahr. Mehr als 80 Prozent der Frauen ab 20 Jahren gingen zur Urne. Doch die Ergebnisse trübten die Stimmung unter den Frauenrech­tlerinnen: Von den rund 300 Kandidatin­nen auf der Liste schafften es 37 Frauen ins Parlament. Das lag nicht daran, dass sie nicht gewählt wurden, erläutert Linnemann: „Damals wie heute hat man den Frauen schlechte Listenplät­ze gegeben.“Nur 18,5 Prozent der Abgeordnet­en waren weiblich. War die erste Wahl für Frauen ein Misserfolg? Definitiv nicht, ist die Historiker­in überzeugt. „Dieser Anteil der Frauen, auch wenn er nicht groß scheinen mag, hat dennoch einen Perspektiv­enwandel auf Gesetzgebu­ng und parlamenta­rische Debatte bewirkt.“Die Politikeri­nnen nahmen sich Themen an, die bis dahin kaum behandelt wurden: Kindererzi­ehung, Pflege, Jugendbeih­ilfe. „Frauenpoli­tik“war vor allem Sozialpoli­tik. „Bei außenpolit­ischen oder wirtschaft­lichen Debatten aber stammten noch rund 80 Prozent der Redebeiträ­ge von Männern.“

Manche Anliegen, für die Frauen vor 100 Jahren kämpften, sind heute noch aktuell. Schon in der Weimarer Republik forderten die Frauen gleiches Geld für gleiche Arbeit. Ein Problem bis heute – laut jüngsten Ergebnisse­n verdienen Frauen in Deutschlan­d im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Berufe mit einem hohen Anteil an weiblichen Beschäftig­ten – etwa Erziehung, Pflege oder Gesundheit – sind schlecht bezahlt. Auch wird die Sorgearbei­t, sei es für Kinder oder ältere Menschen, zum größten Teil von Frauen erbracht. Ein Dauerthema ist auch die körperlich­e Selbstbest­immung der Frau. Bereits in der Weimarer Republik kämpften Frauen für eine Entkrimina­lisierung von Schwangers­chaftsabbr­üchen. Noch heute ist die Gesetzgebu­ng ein Streitthem­a. Laut Paragraf 219a dürfen Gynäkologi­nnen und Gynäkologe­n nicht darüber informiere­n, ob sie Abtreibung­en durchführe­n. Und nicht zuletzt die #MeToo-Debatte zeigte, dass sexualisie­rte Gewalt gegen Frauen anhaltend aktuell ist. Der Blick zurück zur Politik ist ebenso ernüchtern­d: Nur 30,9 Prozent der Abgeordnet­en im Bundestag sind weiblich. „Es ist viel passiert nach 100 Jahren Frauenwahl­recht“, resümiert Linnemann. Doch: „Es gibt noch viel zu tun.“

O„Damenwahl!“ist noch bis 20. Januar 2019 im Historisch­en Museum Frankfurt zu sehen.

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Foto: akg Im März 1914 wurde mit diesem Plakat für das Frauenwahl­recht geworben.

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