Autoscooter auf dem Weinmarkt
Stadtarchivar Dr. Wilfried Sponsel erinnert an die 800 Jahre lange Geschichte der Mess’
Nördlingen Dr. Wilfried Sponsel hatte kaum mit seiner Rede begonnen, da schwelgten schon viele Zuhörer in Erinnerungen. Der Stadtarchivar sprach beim Neujahrsempfang im Nördlinger Klösterle zum Thema 800 Jahre Mess’ – und zitierte aus einem Brief der 80 Jahre alten Barbara Schulz. Die wiederum hatte in den Rieser Nachrichten über den neuen Kalender der Museumsgruppe C.H. Beck gelesen, der Fotos aus der Zeit zeigt, als die Mess’ noch in der Innenstadt stattfand.
Damals, als sich vor Sankt Georg die Verkaufsbuden aneinanderreihten. Barbara Schulz erinnert sich in ihrem Schreiben lebhaft an das Leben in der Stadt zur besonderen Mess’-Zeit, in der ihre Mutter aus dem Schlafzimmerfenster heraus mit den Frauen der Wäschestände einen Plausch führte. „Wir hatten den ganzen Tag von 11 Uhr vormittags bis 11 Uhr abends ein Freiluftkonzert mit sämtlichen damals hitverdächtigen Schlagern zu ertragen, was manchmal nicht ganz angenehm war.“Auf dem Weinmarkt habe damals ein Autoscooter gestanden, sagte Sponsel – eher ungünstig platziert, bedenkt man, dass im benachbarten Hallgebäude die Schüler der Oberrealschule mit Gymnasium Unterricht hatten.
1963 fand die Mess’ zum letzten Mal in der Altstadt statt. „Wegen geplanter Bauarbeiten an der durch die Stadt führenden B25 musste man an eine Verlegung hinaus auf die Kaiserwiese denken“, so Sponsel. Und so wurde das Volksfest danach dort gefeiert, im ersten Jahr flankiert von einer „Rieser Ausstellung“mit zwölf großen Hallen. Im zweiten Jahr stand dann schon das Festzelt Papert an deren Stelle, erst 1986 wurde die Rieser Verbraucherausstellung ins Leben gerufen. Und 1989 wurde der zum zweiten Mal ausgetragene Festzug zu einer festen Einrichtung, erläuterte Sponsel den Zuhörern.
Der Stadtheimatpfleger erklärte den Besuchern auch die Ursprünge der Mess’.Anfangs handelte es sich bei der Veranstaltung noch nicht in erster Linie um ein Volksfest, sondern tatsächlich um eine Messe, auf der Händler von fern und nah ihre Waren anboten. Und die war bedeutend: „Nördlingen erarbeitete sich im Laufe der Zeit einen der Spitzenplätze des oberdeutschen Handels, zumal die konkurrierenden Märkte in Donauwörth und Eichstätt zunehmend an Bedeutung verloren und selbst die großen Nachbarn Ulm und Nürnberg nicht die gewünschte Bedeutung erlangen konnten.“Eine mittelalterliche Messe sei mehr als ein Ort des Warenverkehrs gewesen – auch ein Ort des Geldverkehrs. Der Nördlinger Kapitalmarkt habe zu den attraktivsten Märkten Süddeutschlands gehört und die Stadt stand in der kapitalistischen Entwicklung des Spätmittelalters ziemlich weit vorne.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ließ die Wirtschaftskraft der Messe nach. Der städtische Handel verteilte sich auf das gesamte Jahr, der Kreis der Anbieter rekrutierte sich eher aus dem heimischen Gewerbe und dem Umland. Ende des 19. Jahrhunderts lasse sich eine deutliche Zunahme des Unterhaltungsund Schaustellerwesens feststellen, so Sponsel. 1870 wurde die Mess’ von 14 auf zehn Tage verkürzt – vom zweiten Samstag nach Pfingsten bis zum Herrenmontag. Kurz ging der Stadtarchivar noch auf die Zeit danach ein, auf Kriegsjahre, in denen das Volksfest nicht stattfand.
Doch ab 1947 feierten die Rieser wieder die Mess’.