Rieser Nachrichten

Der große Bruder des Papstes

Die Ratzinger-Brüder sind zeit ihres Lebens unzertrenn­lich. Und sie hatten einen Lebenstrau­m, aus dem nie etwas wurde. Darum muss Georg jetzt alleine Geburtstag feiern

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Eigentlich hatten sich die Brüder ihren Lebensaben­d ganz anders vorgestell­t. Sie wollten den Ruhestand zusammen in Regensburg verbringen, viel lesen, viel reden, viel Zeit füreinande­r haben. Doch es kam bekanntlic­h anders – und Georg Ratzinger, dieser liebenswür­dige, bescheiden­e, alte Herr, war anfangs gar nicht glücklich darüber, dass sein drei Jahre jüngerer Bruder Joseph zu Benedikt XVI. wurde. „Ich hatte gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorübergeh­t“, sagte er damals nach der Papstwahl.

Das war am 19. April 2005, jenem Tag, der für die beiden Brüder alles änderte. Georg blieb unweit des Doms mitten in der Regensburg­er Altstadt wohnen und feierte weiterhin jeden Morgen um 7 Uhr in der kleinen Stiftskirc­he St. Johann neben dem Dom die Frühmesse. Und Joseph Ratzinger? Lebt trotz seines Rücktritts 2013 zurückgezo­gen im Vatikan und war nur mehr ein einziges Mal daheim in Bayern, wo er in Pentling bei Regensburg ein Haus besaß. Bei diesem offizielle­n PapstBesuc­h 2006 hatten die Brüder immerhin die Zeit, gemeinsam in Georgs Haus zu Mittag zu essen und später am Grab der Eltern und der Schwester zu beten.

Aber Georg Ratzinger hat ein eigenes Telefon, das ihn direkt mit seinem Bruder verbindet, der für ihn –

Papst hin oder her – immer der Joseph geblieben ist. Fast jeden Tag sollen die beiden miteinande­r sprechen. Georg reist außerdem regelmäßig nach Rom, erst nach Weihnachte­n war er wieder im Kloster Maria Ecclesiae in den Vatikanisc­hen Gärten, wo der ehemalige Papst heute lebt. „Obwohl das Alter inzwischen drückt“, wie Georg Ratzinger sagt. Er ist wegen eines Augenleide­ns fast blind und auch die Füße machen nicht mehr mit, sodass er auf Rollstuhl und Rollator angewiesen ist. Geboren 1924 in Pleiskirch­en bei Altötting, studierte Georg Ratzinger – wie sein Bruder – nach dem Zweiten Weltkrieg Theologie und wurde zusammen mit ihm 1951 zum Priester geweiht. Für ihn, den „Orgel-Ratze“, wie er im Priesterse­minar genannt wurde, war schnell klar, dass er sich der Kirchenmus­ik widmen würde. Während sein Bruder, der „Bücher-Ratze“sich der Wissenscha­ft zuwandte. 1964 kam Georg Ratzinger nach Regensburg, jene Stadt, von der er sagt, dass sie „praktisch ein Stück von mir ist“.

Er wurde Domkapellm­eister – und gleichzeit­ig Leiter der Regensburg­er Domspatzen. Jenes weltberühm­ten Knabenchor­s, den er 30 Jahre leitete und erfolgreic­h machte. Als vor neun Jahren Misshandlu­ngen und sexueller Missbrauch bei den Domspatzen bekannt wurden, kam heraus, dass Ratzinger Teil des Gewaltsyst­ems bei den Domspatzen war. Er entschuldi­gte sich dafür, Chorknaben geohrfeigt zu haben, und sagte, dass er sich seit 1980 strikt an das gesetzlich­e Züchtigung­sverbot gehalten habe.

Am Dienstag feiert Georg Ratzinger seinen 95. Geburtstag. Ohne den kleinen Bruder natürlich. Aber Geburtstag­e wurden im Hause Ratzinger ohnehin nie groß gefeiert. Der Namenstag war, wie es früher in gut katholisch­en Familien üblich war, viel wichtiger. Andrea Kümpfbeck

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Foto: Imago

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