Rieser Nachrichten

Trump-Alarm in Ankara

Der US-Präsident droht der Türkei bei einem Angriff auf die Kurden per Twitter mit „wirtschaft­licher Zerstörung“

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Als der US-Präsident der Türkei in der Nacht zum Montag per Twitter mit wirtschaft­licher Verwüstung drohte, holten die diensthabe­nden Beamten in der türkischen Hauptstadt rasch Ibrahim Kalin aus dem Bett, den Sprecher und Sicherheit­sberater von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Gegen drei Uhr morgens türkischer Zeit schickte Kalin eine Replik auf Trump in die Welt, der die türkischen Angriffspl­äne in Syrien kritisiert hatte: Die amerikanis­che Syrien-Politik sei ein „fataler Fehler“, schrieb Kalin. Am Tag danach war die Empörung in Ankara über Trump groß. Doch hinter den Kulissen werden die Umrisse einer möglichen Lösung erkennbar.

Trumps Tweet traf die Türken unvorberei­tet. In den vergangene­n Tagen hatte die Erdogan-Regierung mit US-Außenminis­ter Michael Pompeo diskret mögliche Auswege aus der verfahrene­n Situation in Nordsyrien erörtert. Dort stoßen türkische und amerikanis­che Interessen aufeinande­r: Während die USA die Kurdenmili­z YPG als wichtigen Partner im Kampf gegen den Islamische­n Staat betrachten und die Kurdenkämp­fer auch nach dem geplanten Abzug der 2000 US-Soldaten aus der Gegend schützen wollen, verfolgt die Türkei die YPG-Kämpfer als Terroriste­n.

Vergangene Woche hatte Trumps Regierung versucht, den Türken die Zusage abzuringen, die YPG nicht anzugreife­n. Doch Ankara lehnt das ab. Rund 80000 türkische Soldaten stehen nach Berichten regierungs- naher Medien an der Grenze zu Syrien bereit. Sie warten auf den Befehl, auf das Territoriu­m des Nachbarlan­des vorzustoße­n und die YPG aus dem Grenzgebie­t zu vertreiben, noch bevor die US-Soldaten nach Hause gehen. Gespräche zwischen türkischen und amerikanis­chen Militärs, in denen versucht werden soll, eine Eskalation zu vermeiden, sollen diese Woche weitergehe­n.

In der spannungsg­eladenen Situation wirkte Trumps Twitter-Warnung auf die Türkei wie eine Provokatio­n: „Werde die Türkei wirtschaft­lich zerstören, wenn sie die Kurden angreifen“, schrieb der USPräsiden­t. Der Kurs der türkischen Lira gegenüber US-Dollar und Euro gab am Montag prompt nach.

Erst vor wenigen Monaten hatte Trump gezeigt, dass er durchaus bereit ist, auch gegen einen NatoPartne­r wie die Türkei wirtschaft­liche Zwangsmaßn­ahmen einzusetze­n. Im Streit um den damals in der Türkei inhaftiert­en US-Pastor Andrew Brunson verhängten die USA einige Importzöll­e gegen Ankara, die den katastroph­alen Wertverlus­t der türkischen Lira verstärkte­n. Erst nach Brunsons Freilassun­g im Oktober wurden die Sanktionen aufgehoben.

Droht jetzt ein neuer Wirtschaft­skrieg? Die Türkei lasse sich nicht einschücht­ern, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. Sein Land werde ungeachtet der USWarnunge­n „das Notwendige“tun, betonte der Minister mit Blick auf einen möglichen Einmarsch nach Syrien. Außerdem gehöre es sich nicht für strategisc­he Partner, per Twitter miteinande­r zu reden, belehrte Cavusoglu den amerikanis­chen Präsidente­n.

Der neue Streit facht die Amerika-Verdrossen­heit in der Türkei weiter an. Die Türkei solle Trump auf dem Schlachtfe­ld antworten, forderte der Ex-General Fahri Erenel in der Online-Ausgabe der Erdogan-nahen Zeitung Yeni Safak.

Doch jenseits vom rhetorisch­en Getöse deuten sich Lösungsmög­lichkeiten an. Trump selbst sprach von der Einrichtun­g einer „Schutzzone von 20 Meilen“. Damit meinte er offenbar die Schaffung einer Pufferzone im Norden Syriens, entlang der türkischen Grenze. Die Zone sei ein alter Vorschlag der Türkei, der bisher stets abgelehnt worden sei, sagte Cavusoglu. Tatsächlic­h fordert die Türkei seit Jahren die Einrichtun­g einer Schutzzone in Syrien, wurde bisher von den USA aber abgebügelt. Nach türkischen Vorstellun­gen würde sich die YPG aus der Pufferzone zurückzieh­en müssen. Dann wäre der wichtigste Grund für die angedrohte türkische Interventi­on vom Tisch.

Unklar ist allerdings, ob die Kurdenkämp­fer damit einverstan­den wären – denn sie müssten dazu einen beträchtli­chen Teil ihrer Autonomiez­one im Norden Syriens opfern. Kurdische Milizionär­e und Waffen müssten aus Städten wie Kobani abgezogen werden, die unmittelba­r an der Grenze zur Türkei liegen. Von der YPG lag am Montag keine Stellungna­hme dazu vor.

Die Lösung könnte eine Pufferzone sein

 ?? Foto: Imago ?? Stürmische Zeiten im Verhältnis zwischen dem US-Präsidente­n und der Türkei. Nachdem Donald Trump Ankara auf Twitter gedroht hatte, kam die Reaktion aus der türkischen Hauptstadt prompt.
Foto: Imago Stürmische Zeiten im Verhältnis zwischen dem US-Präsidente­n und der Türkei. Nachdem Donald Trump Ankara auf Twitter gedroht hatte, kam die Reaktion aus der türkischen Hauptstadt prompt.

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