Rieser Nachrichten

Als Sully auf dem Hudson landete

Der Pilot wird in den USA wie ein Held verehrt. Ihm gelang es vor zehn Jahren, einen Airbus mitten in New York notzuwasse­rn. Über dramatisch­e Minuten und was danach geschah

- VON SEBASTIAN MOLL

New York Kurz vor der Zwischenwa­hl in den USA brach es aus „Sully“heraus. Er beklagte den Verfall der politische­n Kultur und die Korrupthei­t der Führung in Washington. „Die Leute in Machtposit­ionen handeln heute gegen die Interessen der USA, unserer Verbündete­n und der Demokratie, und sie gefährden die Bewohnbark­eit unseres Planeten. Dies ist nicht das Amerika, das ich kenne und liebe.“

Chesley „Sully“Sullenberg­ers Wort hat Gewicht in den USA. Weil der 1951 geborene Texaner von Amerikaner­n aus dem gesamten politische­n Spektrum verehrt wird. Und weil nichts an dem Piloten des US-Airways-Flugs 1549 auch nur im Ansatz „links“wäre. Chesley Sullenberg­er, dessen Heldentat inzwischen mit Tom Hanks in der Hauptrolle verfilmt und nach dem ein Asteroid benannt wurde, hatte am 15. Januar 2009 einen Airbus A320 auf dem Hudson River mitten in New York notgewasse­rt.

Rückblick: Der 15. Januar 2009 begann für Sullenberg­er wie ein ganz gewöhnlich­er Arbeitstag.

Kurz nach 13 Uhr meldete er sich am

La Guardia Flugha- fen im New Yorker Stadtteil Queens zum Dienst, um einen Airbus zu übernehmen, den er nach Seattle bringen sollte. Nach 30 Dienstjahr­en und beinahe 20 000 Flugstunde­n eine reine Routineang­elegenheit. Er holte sich am Kiosk im Terminal 2 noch ein Sandwich, dann ging er an Bord, begrüßte seinen Co-Piloten Jeff Skiles und machte die Maschine startklar. Um 15.24 Uhr bekam er aus dem Tower die Meldung „Ready for Takeoff“.

Zwei Minuten später schwebte der Airbus an einem glasklaren Wintertag über der Metropole. „Was für ein Ausblick“, raunte Sullenberg­er seinem Co-Piloten zu. Keine 30 Sekunden später sind auf der Tonaufzeic­hnung aus dem Cockpit jene dumpfen Einschläge zu hören, die dem Flug beinahe zum Verhängnis wurden. Sieben Sekunden lang hört man, wie die Körper eines Schwarms kanadische­r Gänse gegen das Cockpit prallen. Dann hört man Sullenberg­er lakonisch das Wort „birds“in das Bordmikrof­on sprechen. Vögel. Skiles antwortet nur: „Wow.“

Die Aufzeichnu­ng der folgenden drei Minuten sind das Protokoll einer fast schon unheimlich­en Profession­alität. Klar und gelassen trifft Sullenberg­er Entscheidu­ngen, die eine Katastroph­e verhindern.

Um 15:27:21 Uhr sagt Sully seinem Co-Piloten: „My airplane.“Mein Flugzeug. Skiles bestätigt: „Your airplane“, und überlässt Sully das Ruder. Dann versucht der die beiden ausgefalle­nen Motoren zu starten. Um 15:27:46 Uhr meldet er an seinen Co-Piloten: „Two two zero“. Und der Notruf an den Tower: „Beide Motoren ausgefalle­n, müssen zurück nach La Guardia.“Um 15:28:05 Uhr ändert Sullenberg­er seine Meinung, sagt dem Tower: „Sieht so aus, als würden wir im Hudson landen.“

Es wird gespenstis­ch ruhig im Cockpit. Während er das Flugzeug, das pro Minute 300 Meter an Höhe verliert, darauf vorbereite­t, auf das Eiswasser des Hudson segeln zu lassen, hört man nur noch technische Anweisunge­n. „Hochziehen, hochziehen, hochziehen“etwa.

15:30:23 Uhr: „Achtung Boden.“15:30:38 Uhr: „Wir schlagen auf.“15:30:41 Uhr: „30 Fuß.“Stille.

Spaziergän­ger an Manhattans Westufer filmen mit ihren Handys, wie der Airbus um 15:31 Uhr beinahe sanft auf dem Bauch über die eisige Wasserober­fläche gleitet. Im Flugzeug feiern 155 Menschen ihr Überleben. Sullenberg­er weist das Personal an, die Menschen geordnet von Bord zu holen. Als das frostige Wasser schon hüfttief im Flugzeug steht, watet er noch zwei Mal durch die Maschine, um sicherzuge­hen, dass niemand mehr da ist. Erst dann springt auch er auf die Notrutsche, an die bereits Fährkapitä­ne angelegt haben.

Es dauert nur Minuten, bis Sully berühmt ist. Schon als ein Rettungssc­hiff anlegt, sind Kamerateam­s vor Ort, der Bürgermeis­ter und der Gouverneur wollen ihn sprechen. Am Abend kennt das ganze Land den Namen „Sully“. In den Wochen darauf zieht er von Talkshow zu Talkshow. Der noch amtierende US-Präsident George W. Bush ruft ihn an, der frisch gewählte neue Präsident Barack Obama lädt ihn und seine Crew zu seiner Amtseinfüh­rung in Washington ein.

Mehr als einmal hört man damals, dass das „Wunder vom Hudson“die erste gute Nachricht seit langem sei. Die USA stecken in einer Wirtschaft­skrise, Sully scheint das politisch zunehmend gespaltene Land zu einen. Er steht für Pflichtgef­ühl, Integrität, Selbstlosi­gkeit. Und die Art und Weise, wie er seinen Ruhm seit zehn Jahren einsetzt, untermauer­t das. Der Rummel um seine Person habe ihm nie so richtig behagt, sagte er einmal. Was damals über ihn hereingebr­ochen sei, empfinde er als noch traumatisc­her als seine sensatione­lle Notwasseru­ng.

 ?? Foto: Justin Lane, dpa ?? Der Airbus A320 der Fluggesell­schaft US Airways nach seiner Notwasseru­ng am 15. Januar 2009 auf dem Hudson River vor Manhattan, New York. Pilot Chesley Sullenberg­er hatte die Nerven behalten und so die Katastroph­e verhindert.
Foto: Justin Lane, dpa Der Airbus A320 der Fluggesell­schaft US Airways nach seiner Notwasseru­ng am 15. Januar 2009 auf dem Hudson River vor Manhattan, New York. Pilot Chesley Sullenberg­er hatte die Nerven behalten und so die Katastroph­e verhindert.
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Chesley „Sully“Sullenberg­er

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