Streit um falsches Geburtsdatum vor Gericht
Ein junger Flüchtling hat ein falsches Geburtsjahr angegeben und somit Leistungen bekommen, die ihm eigentlich nicht zustanden. Weshalb er dennoch freigesprochen wird
Nördlingen Das eigene Geburtsdatum ist eine fast unvergessliche Zahlenfolge. Es dient oft als Vorlage für zugegeben nicht all zu sichere Passwörter oder ist im Auto-Kennzeichen integriert. Sogar Dreijährige werden ganz stolz drei Finger entgegenstrecken, wenn sie auf die Frage antworten, wie alt sie sind. Wie sich nun bei einer Verhandlung am Jugendgericht des Nördlinger Amtsgerichts zeigte, hat dieses Wissen aber Grenzen. Nicht überall auf der Welt ist das Alter so omnipräsent, wie in unseren Kulturkreisen.
Einem Iraker war das eigene Geburtsdatum auf seiner Flucht nicht geläufig. Genau das wurde ihm zum Verhängnis und hat nun dem Bundesstaat einen recht ordentlichen Schaden verursacht – wohl nicht ganz unverschuldet. Der junge Mann musste sich nun wegen Betrugs vor dem Nördlinger Amtsgericht verantworten – und wurde freigesprochen.
Bei seiner Ankunft in Deutschland 2017 sollte er sich bei den Behörden ausweisen. Wie er über seinen Dolmetscher sagte, habe er deshalb zuvor mit seiner Mutter im Irak telefoniert. Er fragte, wann er geboren sei. Das wusste er nicht. Sein Pass soll bei Bekannten in der Türkei gewesen sein, weil er nicht wollte, dass er ihm auf der Flucht verloren geht oder gestohlen wird, wie er selbst sagt. Bei seiner Erstmeldung in Schwäbisch Hall gab er an, am 13.3.97 geboren zu sein und bekam deshalb noch fünf Monate Leistungen, die ihm eigentlich nicht zugestanden hätten – die eines minderjährig unbegleiteten Flüchtlings. Als sein Pass schließlich in Deutschland war, reichte er ihn beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein und das falsch angegebene Geburtsjahr fiel auf – Tag und Monat waren allerdings richtig.
Angeklagt war der junge Mann wegen Betrugs – durch die falsche Angabe des Geburtsdatums sei dem Staat ein Schaden von rund 20000 Euro entstanden. Der Iraker war in einer Unterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge untergebracht, die jeden Tag 150 Euro koste. Dazu kämen Taschengeld, die Erstattung von Leistungen für Kleidung, Pflegeversicherung und Krankenversicherung. Eigentlich wären ihm nur rund 2300 Euro zugestanden. Laut Anklage soll der Mann neben seinem Alter auch bei seinem Namen gelogen haben. Vor Gericht stellte sich die Sache dennoch anders heraus.
Sowohl die Verteidigerin als auch der Angeklagte selbst sagten, dass dort, wo der Mann im Irak aufgewachsen ist, das Alter keine Rolle spiele wie bei uns. Die Mutter könne nicht richtig lesen, sie soll das Datum falsch übermittelt haben. Der heute 19-Jährige beteuerte vor Gericht, nichts mit Absicht gefälscht zu haben.
Nach den Aussagen dreier Zeugen – einem Polizisten und zwei Vertretern des Jugendamts – kam langsam heraus, dass die Geschichte des Angeklagten stimmen könnte. Sein Name sei wohl falsch aufgeschrieben worden, weil es dafür mehrere Schreibweisen gebe.
Richter Andreas Krug sprach den Iraker frei. Er begründete seine Entscheidung damit, dass er nicht davon ausgehe, dass er „mit betrügerischer Absicht“ein falsches Geburtsdatum angegeben habe. „Da mag manches dafür sprechen, aber es ist viel zu viel, was dagegen spricht.“Krug kritisiert das Vorgehen diverser Behörden, die gesagt hätten, dass auch der Name falsch angegeben sei. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es lediglich mehrere Schreibweisen gebe, und es sich vermutlich nur um einen Schreibfehler und nicht um eine Falschangabe handelte. Außerdem traue er dem jungen Mann, der nur wenige Jahre zur Schule ging, einen solchen Betrug intellektuell nicht zu. „Ich glaube es ihm auch, dass das Geburtsdatum nicht so wesentlich ist, wie bei uns“, sagte Krug abschließend.
Die Verteidigerin Sophie Jerusel hatte ebenfalls auf Freispruch plädiert. Der Staatsanwalt war anderer Meinung. Er sah die Vorwürfe als erwiesen an und forderte einen Arrest von drei Wochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verfahrenskosten trägt der Staat.