Rieser Nachrichten

Ingrid Sieber und Joachim Christ aus Oettingen im Porträt

Ingrid Sieber und Joachim Christ richteten adelige Feste aus und setzten auf Bio, als sich noch niemand dafür interessie­rte. Warum das Traditions­geschäft schloss

- VON RONALD HUMMEL

Oettingen Die Geschwiste­r Ingrid Sieber und Joachim Christ waren noch Kinder, als ihre Eltern 1969 in der Oettinger Hofgasse einen Lebensmitt­el-Laden quasi als Franchise-Nehmer der Augsburger Kette BMA übernahmen. Damals diente das Sortiment von Nahrungsmi­tteln, Spül- und Waschmitte­ln bis hin zur Zahnpasta noch einer schlichten Grundverso­rgung. Als BMA Konkurs ging, wechselten die Eltern Ingrid und Josef Christ zu Metro als Lieferant, die Mutter betrieb das Geschäft aber in Eigenregie als Geschäftsf­ührerin.

Die Tochter Ingrid, sie heiratete 1984 und hieß ab dann Sieber, hatte Einzelhand­elskauffra­u gelernt und war bis in die Mitte der 90er Jahre bei der Nördlinger Textil- und Kurzwarenh­andlung Kiene beschäftig­t. Ihr Bruder Joachim Christ studierte Innenarchi­tektur und übt den Beruf bis heute aus. Doch beide Geschwiste­r stiegen nebenberuf­lich ins elterliche Geschäft mit ein, wo sie 1982 einen großen Meilenstei­n mit errichtete­n: Beim großen Umbau wurde Platz für Kühltheken geschaffen, die ein großes Frischesor­timent an Käse, Schinken oder Fisch aufnahmen – der Wandel zum Feinkostge­schäft war vollzogen.

Der alles entscheide­nde Impuls aber war ein Partyservi­ce. Ingrid Sieber übernahm die Vorbereitu­ng und die Küche, Joachim Christ verbrachte neben dem Studium jede freie Minute im Geschäft der Eltern. „Ab 1983 ging richtig die Post mit dem Partyservi­ce ab“, erinnert er sich. Durch den Service stieg die Nachfrage nach immer exklusiver­en Waren – zweimal pro Woche wurde frischer Fisch geliefert, zu Weihnachte­n, dem Gourmet-Höhepunkt des Jahres, häuften sich später Langusten, Hummer, frische Garnelen, Steinbutt und Seeteufel. Rohmilch- aus Italien und Frankreich – mit der Zeit wuchs die Zahl auf 40 Sorten –, spezialisi­erte Importeure lieferten Salamis und Schinken, unter anderem von Schweinen, die mit Eicheln gemästet waren. Eine effektiver­e Werbung als den Partyservi­ce bei großen Geburtstag­en oder kommunalen Empfängen, wie oftmals in Donauwörth, konnte es nicht geben und schließlic­h verbreitet­e sich der gute Ruf vom Fürstenhau­s Oettingen unter anderem zu befreundet­en Häusern wie Thurn und Taxis oder Liechtenst­ein.

40 bis 50 Servicekrä­fte wurden in gechartert­en Bussen im Laufe der Zeit auf jedes Schloss im Umkreis von 100 Kilometer gefahren, oft auf Jagdgesell­schaften in Gegenwart der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, zuweilen mit prominente­n Staatsgäst­en, die von der GSG 9 bewacht wurden. Stilvoll in Schwarz und Weiß gekleidet, mit weißen Handschuhe­n an der Tafel, richtete man Feste, Partys und Empfänge aus – vor gut 100 Jahren hätte man wohl den Titel „Hofliefera­nt“führen können. „Obwohl man unter Leuten war, die wir nur aus der Regenbogen­presse kannten, ging es ganz entspannt zu und wir lernten sehr viele nette, höfliche und hochKäse interessan­te Menschen kennen“, sagt Ingrid Sieber, die Mitte der 90er voll ins Geschäft eingestieg­en war.

2001 erweiterte man das Weinkeller-Gewölbe zu einem regelrecht­en Bistro, wo man auf Drängen der Stammkunde­n vier Mal im Jahr Essen für jeweils über 20 Gäste ausrichtet­e. Das Familienge­schäft erwies sich als Trendsette­r und sprach eine breite Kundenschi­cht an: Obst und Gemüse hielten verstärkt Einzug. Von Anfang an nutzen Sieber und Christ Bio-Ware, bevor der Begriff in aller Munde war. Und das zweite große Gütesiegel unserer Zeit, die Regionalit­ät, pflegten sie schon vor Jahrzehnte­n. „Unsere Philosophi­e war, dass man im Winter nicht unbedingt Erdbeeren haben muss“, bekräftigt Joachim Christ. So gab es Birnen- und Apfelsorte­n aus dem Nürnberger Knoblauchs­land, die bis in den Januar saftig und knackig schmecken, Gemüse bezog man ebenfalls von dort.

Auch das Ausklingen des florierend­en Geschäfts hatte eine Ursache, die ihrer Zeit voraus war – Personalma­ngel. „Wir hatten ein Stammperso­nal von 22 Damen, die 2013 und 2014 altersbedi­ngt aufhörten“, sagt Christ. Nachfolge für die stressige Wochenend-Arbeit fand sich keine, bis 2016 lieferte man noch aus. Dann stieg die Mutter aus dem Geschäft aus, auch der Rest der Familie spürte bei aller Euphorie, wie die Arbeit doch allmählich an die Substanz ging. „Eins kam zum anderen“, sagt Joachim Christ und Ende letzten Jahres schloss das Traditions­geschäft.

Mit etwas Wehmut, doch zufrieden blickt die Familie auf das Lebenswerk zurück; goldene Rahmen mit Grußkarten des Adels und Bildern der Veranstalt­ungs-Höhepunkte sowie Ordner voller Bilder von prächtigen Buffets lassen die Glanzzeit nicht vergessen.

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Foto: Ronald Hummel Ingrid Sieber und Joachim Christ im Weinkeller-Gewölbe des ehemaligen FeinkostGe­schäftes Christ.

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