Auch als Schurke noch ganz Mensch
Bruno Ganz verfügte über ein Rollenspektrum, wie es nur wirklich großen Schauspielern gegeben ist. Er konnte irrwitzig komisch sein – und lieh Hitler sein Gesicht
Es gibt diese bedauernswerten Mimen, die, obschon sie ihre Verwandlungskunst in dutzenden von Rollen unter Beweis gestellt haben, doch nur mit einer einzigen Darbietung im Gedächtnis der Nachwelt lebendig geblieben sind. Bruno Ganz wird es nicht so ergehen, wiewohl auch er dieser einen Figur sein Gesicht lieh und damit ein Massenpublikum bestürzte: Adolf Hitler im Film „Der Untergang“.
Aber eben das hat Bruno Ganz zu einem der ganz Großen der Schauspielkunst gemacht: Dass er sich nicht nur auf die eine Charakterschiene verstand, dass er nicht nur das Böse zwingend Gestalt werden lassen konnte, gleichviel auf der Theaterbühne wie auf der Kinoleinwand. Nein, er konnte auch ganz anders, vermochte irrwitzig gut Komödie zu spielen, immer mit jenem Hauch Fatalität, die der Schatten der Heiterkeit ist. Ein wenig hatte ihn dabei das Schicksal physiognomisch begünstigt: diese kindhaft großen Augen, das knollig vorspringende Kinn, die schrägen Linien, die sich durchs Gesicht zogen – nur allzu gern ließ man sich von diesen Zügen ins Komische verführen, herrlich etwa im Film „Brot und Tulpen“. Und erschrak umso mehr, wenn er dieselben Gaben dafür verwandte, sich mit Tätergestalten in unsere Psyche zu bohren. Fraglos hatte es seine Richtigkeit, dass dieser Ausnahmeakteur den IfflandRing erhielt, jene Auszeichnung, die testamentarisch von einem Schauspieler – im Falle von Ganz war es Josef Meinrad gewesen – an den nächsten als den „würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters“weitergereicht wird. Wer, fragt man sich jetzt, wird nach Ganz der Ringträger sein?
Geboren wurde er 1941 in Zürich, und ein milde ironischer Eidgenosse ist er zeitlebens geblieben. Als er den Großvater der Schweiz-Ikone Heidi vor einigen Jahren in einer Neuverfilmung spielte, flötete er Reportern seiner Heimat zu: „Den Alpöhi zu spielen, ist doch eine patriotische Pflicht.“Er selbst war das Kind eines Fabrikarbeiters und einer Italienerin und auf der Schule alles andere als ein Durchstarter. Die Mutter hatte ihm schon eine Anstellung bei einem Malermeister besorgt, doch für den Sohn stand fest, dass er Schauspieler werden wollte. Und so belegte er Abendkurse am Zürcher Bühnenstudio und hangelte sich über mehrere Stationen hinein in die Theaterwelt. In Bremen traf er erstmals auf den Regisseur Peter Stein, der die weitere Karriere maßgeblich mitbestimmen sollte. Mit Stein ging er Anfang der 1970er Jahre nach Berlin und wurde an der dortigen Schaubühne Mitglied jenes legendären Ensembles, das nicht nur durch basisdemokratische Produktionsverhältnisse von sich reden machte, sondern vor allem durch seine künstlerische Arbeit. Hier lernte er auch seine Lebensgefährtin, die Theaterfotografin Ruth Walz, kennen; sein Sohn stammt aus einer früh eingegangenen Ehe.
Bruno Ganz stieg kometenhaft zu einem der Stars der Schaubühne und ihrer innovativen Regisseure auf. Wurde auch zum begehrten Protagonisten der neueren Dramatik – Thomas Bernhards Stück „Die Jagdgesellschaft“trägt die Widmung „Für Bruno Ganz, wen sonst“. Zu den großen Rollen, in denen man den Schweizer sah, gehörte schließlich der Faust. Im Jahr 2000 mutete er sich die ungekürzte Partie der beiden Teile von Goethes Tragödie in Peter Steins 20-stündiger Inszenierung für die Hannoveraner Expo zu.
Sein Rollenpensum war enorm, vielleicht sogar zu umfangreich, denn längere Zeit sprach Ganz dem Alkohol über das erträgliche Maß hinaus zu. Schon in den 70er Jahren hatte ihn auch der junge deutsche Film für sich entdeckt. Alles, was Rang und Namen hatte unter den avancierten Regisseuren des Landes, versicherte sich seiner Dienste, von Reinhard Hauff über Wolfgang Petersen bis hin zu Werner Herzog („Nosferatu“) und Volker Schlöndorff („Die Fälschung“). Die nachhaltigste Zusammenarbeit kam mit Wim Wenders zustande. Zunächst, 1977, für „Der amerikanische Freund“, worin er einen todkranken Killer spielt, dem man – eine typische Ganz-Leistung – das Mordpotenzial erst einmal gar nicht ansieht. Zehn Jahre später dann „Der Himmel über Berlin“: Bruno Ganz als Engel, der auf Unsterblichkeit verzichtet und zu den Menschen herabsteigt. Unvergessen die Melancholie bei gleichzeitiger Entschlossenheit, die er diesem Daniel nicht nur in der Gestalt, sondern auch – weich und konturscharf – in der Stimme mitzugeben vermochte.
Bruno Ganz und sein Äußeres: „Es hat mich umgehauen, wie sehr ich Hitler ähnlich sah“, hat er während der Dreharbeiten zu Oliver Hirschbiegels Führerbunker-Endzeitdrama „Der Untergang“bekannt. „Wenn ich ein Deutscher wäre, könnte es gut sein, dass ich das nicht spielen würde.“Er hat „das“gespielt, mit zitternder Hand, keifenden Hacksätzen und diesem bizarr väterlichen Blick. Es gab Kritiker, die diese Darstellung obszön fanden und Ganz vorwarfen, er vermenschliche das Monster. Genau darin aber lag die Leistung – erlebbar zu machen, dass hier nicht ein Außerirdischer das Menschheitsverbrechen schlechthin in Gang gesetzt hatte, sondern einer von uns.
Wer wie Ganz in den großen Tragödien auftritt, begegnet dort immer auch dem Tod. In Sterberollen, hat er der Zeit einmal gesagt, lerne man, „dass es einem nicht hilft, sich auf den Tod vorzubereiten.“Seit längerem war der Schauspieler an Krebs erkrankt. Bis zuletzt, versichert seine Agentin, habe er „intensiv und voller Freude“an Projekten gearbeitet. Vielleicht hat Bruno Ganz aus seinen großen Rollen das für sich mitgenommen: dass es geboten ist, das Dasein bis zuletzt auszukosten. Am Samstag ist der Schauspieler im Alter von 77 Jahren nahe Zürich gestorben.
Ein Engel, der auf Unsterblichkeit verzichtet