Unsichtbar und trotzdem da
Viele prähistorische Zeugnisse schlummern im Untergrund – ohne dass wir davon wissen oder sie jemals zu Gesicht zu bekommen. Ein Experte für Bodendenkmäler ist Dr. Johann Friedrich Tolksdorf vom Denkmalamt. Er ist für den Donau-Ries-Kreis zuständig und er
Dr. Johann Friedrich Tolksdorf sieht rot. Er sieht ziemlich viel Rot – und das ist auch gut so. Denn alle roten Markierungen auf der Karte des Denkmalatlasses bezeichnen Orte, von denen Archäologen wissen, dass sich dort Bodendenkmäler befinden. „Und was wir kennen, können wir schützen“, bringt er die ureigenste Aufgabe des Bodendenkmalschutzes auf den Punkt. Johann Friedrich Tolksdorf sitzt in seinem Büro im ehemaligen Kloster Thierhaupten – selbst eine geschichtsträchtige Stätte und heute eine Außenstelle des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. Von dort aus kümmert er sich um ganz viele Dinge im Donau-Ries-Kreis, die sich unterhalb der Erdoberfläche befinden. Die folglich unsichtbar sind und trotzdem existieren.
Sein Zeigefinger gleitet über die Karte aus dem Denkmalatlas. Er streift von Holzheim bis Wolferstadt, von Tagmersheim bis Marktoffingen, wo sich überall diese roten Flecken verteilen – mal mehr, mal weniger konzentriert. Sie bergen Geheimnisse, die nur teilweise erforscht sind. In dieser Region hatten sich einst die Kelten niedergelassen, hatten die Alamannen und die Römer gesiedelt wie auch die mittelalterliche Bevölkerung und die der frühen Neuzeit. Jedes Volk hat lange nach seinem Verschwinden noch Spuren hinterlassen, die viel über die Menschheitsgeschichte erzählen.
Geradezu übersät ist der Rieskrater mit roten Markierungen. Ein Zeichen dafür, dass sich dort von jeher besonders gerne Menschen angesiedelt haben. „In der letzten Eiszeit hat es in die Mulde dort Löss eingeweht“, schildert Johann Friedrich Tolksdorf. „Und die guten Eigenschaften des Löss begünstigen die Landwirtschaft.“
Der Geopark Ries beherbergt bekanntlich in großer Zahl vor- und frühgeschichtliche Bodendenkmäler. Die steinzeitlichen Höhlen etwa zeugen von einer lebhaften Vergangenheit des Riesbeckens – ebenso die keltischen Fürstensitze, Wallanlagen und Brandopferstätten der Metallzeit wie auch Überreste römischer und alamannischer Stätten. Im südlichen Landkreis lässt es sich dagegen etwa auf der Via Claudia Augusta und der Via Raetica trefflich auf den Spuren der Römer wandern, um nur zwei von zahlreichen Beispielen dort zu nennen. Vieles davon ist sichtbar gemacht. Etliche archäologische Zeugnisse vergangener Epochen können heute noch im Freien oder in Museen besichtigt werden. Das ist es, was historisch interessierte Menschen begeistert.
Doch die Herzen der Bodendenkmalschützer schlagen mehr noch für die unsichtbaren Spuren. Es sind Zeugnisse aller Art, die nicht freigelegt sind: Gebeine von alten Friedhöfen, Tonscherben aus antiker Keramik, Mauerreste von Häusern, Fresken, die hinter Putz liegen, Waffen aus diversen Kriegen und so manches mehr. Bodendenkmalschützer nutzen alle möglichen analogen und digitalen Medien, alle zur Verfügung stehenden Messmethoden, um Kenntnisse zu gewinnen, ohne dabei das Unsichtbare sichtbar zu machen.
„Ein Bodendenkmal wird dann zum Bodendenkmal, wenn wir etwas darüber wissen“, sagt Tolksdorf. Doch dieses Wissen eignen er und seine Kollegen sich nur im Notfall durch Ausgrabungen an. Wenn es eben gar nicht anders geht. „Unser Ziel ist es, ein Bodendenkmal wahrzunehmen und es an Ort und Stelle zu erhalten, ohne einzugreifen. Wir sind keine Grabungsstelle, sondern eine Schutzbehörde. Bei Ausgrabungen wird immer etwas zerstört.“
Um nun ohne Spaten und Schaufel, allein mit dem Auge und Messgeräten in den Untergrund vorzudringen, gibt es verschiedene Methoden, derer sich die Bodendenkmalschützer bedienen. Zu den regelmäßigen Bestandsaufnahmen gehört die Luftbildarchäologie – gehören also Rundflüge, die in jedem Sommer stattfinden. Aber was kann man denn aus der Luft sehen, was sich doch im Inneren der Erde befindet?
„Mauern und Gräben zeichnen sich oft kantenscharf im Bewuchs ab“, gibt Johann Friedrich Tolksdorf Auskunft. „In einer Mulde, in der sich Wasser sammelt, hat die Vegetation einen ganz anderen Reifegrad als etwa oberhalb einer Mauer, wo Pflanzen nicht tief wurzeln können. Einzelne Gebäude sind so aus der Luft gut zu erkennen.“
Alte Zeitungsberichte und andere Aufzeichnungen gehören ebenfalls zum Recherchematerial, um Kenntnisse über Verborgenes zu gewinnen. Neben diesen eher konservativen Möglichkeiten setzen sich auch zunehmend technisch moderne durch, etwa der Laserscan, der ebenfalls vom Flugzeug aus zum Einsatz kommt. Beim Verfahren der Geomagnetik werden magnetische Anomalien im Boden gemessen, also vor allem Metalle. Mittels der Geoelektrik werden der elektrische Wider- stand und die elektrische Leitfähigkeit des Untergrunds untersucht. Auf diese Weise kann man unter der Oberfläche liegende massive Strukturen wie etwa Mauerreste oder mehr lokalisieren.
„Wir werden immer besser, ohne in das Bodendenkmal eingreifen zu müssen“, freut sich Johann Friedrich Tolksdorf. „Auch virtuelle Bohrungen sind möglich, die uns sogar 3D-Bilder liefern.“
Wahrscheinlich würden die amtlichen Bodendenkmalschützer relativ unbemerkt ihrer Arbeit nachgehen, gäbe es da nicht immer wieder einmal Interessenskonflikte mit Bauherren. Sobald Kommunen Baugebiete ausweisen oder andere große Bauvorhaben anstehen, sobald es auch um die Gewinnung von Bodenschätzen geht, wird immer auch das Denkmalamt wegen möglicher Bodendenkmäler gehört. „Wir können uns Entwicklungen nicht entgegenstellen“, sagt Tolksdorf. „Und natürlich muss Wohnraum geschaffen werden. Aber wenn ein Bodendenkmal zerstört, freigelegt und geborgen wird, dann möchten wir möglichst viel an Informationen erhalten.“Dann steht am Ende eine ausführliche Beschreibung, wie das zerstörte Bodendenkmal einmal ausgesehen hat. Diese Ersatzmaßnahme – also die fachgerechte Ausgrabung durch Spezialisten und die detailgenaue Dokumentation – muss vom Bauherrn bezahlt werden.
Johann Friedrich Tolksdorf ist in seiner Abteilung in Thierhaupten nicht allein. Während er vorrangig am Schreibtisch um Bodendenkmäler kämpft, geht es drei Etagen tiefer ganz praktisch zur Sache. Dort ist Restaurator Matthias Blana gerade mit einem antiken Messer beschäftigt, das als solches kaum mehr erkennbar ist. „Bei uns geht es um Erstversorgung“, erklärt Blana. „Wir verlangsamen den Verfall und dokumentieren die Fundstücke, stellen aber nicht ihre Schönheit wieder her.“Zahllose Funde sind dort eingelagert. Sie warten in Kisten – gut verpackt – darauf, fachkundigen Blicken unterzogen zu werden.
Johann Friedrich Tolksdorf und sein Team begeistern sich für jeden einzelnen dieser Schätze. Noch mehr allerdings sind es die roten Punkte auf der Karte, die sie mit all ihren Geheimnissen faszinieren. Und die vielleicht für alle Ewigkeit nichts weiter bleiben als rote Punkte.
Viele weitere Informationen wie auch der Denkmalatlas finden sich im Internet unter www.blfd.bayern.de.