Rieser Nachrichten

Ach, diese Touris!

Österreich Hallstatt ist ein malerische­r Ort im Salzkammer­gut. Jedes Jahr strömen mehr als eine Million Menschen in das 776-Einwohner-Dorf, um das Weltkultur­erbe zu sehen. Den Einheimisc­hen reicht es jetzt. Nun versuchen sie mit neuen Mitteln, den Tourist

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Hallstatt/Salzburg Vor dem Supermarkt in Hallstatt stehen ein paar junge Leute mit Kapuzen auf dem Kopf, augenschei­nlich aus Asien. Hungrig verschling­en sie Sandwiches und Würstchen, dazu österreich­ische Energy Drinks. Dass es eiskalt ist und regnet, stört sie nicht. Unter lautem Gelächter posieren sie am Ufer des Hallstätte­r Sees für ein Selfie. „Es ist so schön hier“, sagt ein junger Mann aus Südkorea. „Die hohen Berge bis ans Seeufer sind perfekt für Fotos aus Europa.“

Hallstatt liegt eine halbe Autostunde entfernt von St. Wolfgang im Salzkammer­gut. Das Dorf ist bekannt dafür, dass seit tausenden von Jahren hier Salz abgebaut wurde für den Abschnitt der Eisenzeit, der nach ihm benannt ist – die Hallstattz­eit. Und für die malerische­n Häuser, die sich zwischen dem See und dem steilen Berghang dicht aneinander­drängen. Und seit ein paar Jahren auch für all die Touristen, die in das 776-Einwohner-Dorf strömen. Mehr als eine Million sind es jedes Jahr, die meisten aus Asien.

Das liegt daran, dass Hallstadt – ebenso wie Salzburg und Wien – Weltkultur­erbe ist. Aber auch an dem chinesisch­en Immobilien­unternehme­r, der sich so sehr in Hallstatt verguckt hatte, dass er den Ortskern 2011 einfach in der Provinz Guangdong nachbauen ließ – samt Wirtshaus und Blumenkäst­en, nur leider seitenverk­ehrt. Und dann ist da noch die südkoreani­sche Fernsehser­ie, deren herzergrei­fendste Szenen am Hallstätte­r See spielen. In Südkorea gibt es inzwischen Wettbewerb­e für Fotos aus Oberösterr­eich.

Hallstatt ist ein Paradebeis­piel für Touristenm­assen, die Orte überrollen, und für die Konflikte, die das mit sich bringt. Längst haben Experten einen Begriff für dieses Phänomen geprägt: Overtouris­m, Übertouris­mus. Das kennt man aus Venedig, Dubrovnik und Amsterdam – aus Städten, durch die sich Wochenende für Wochenende Besucherst­röme schieben. Aber auch im ländlichen Bayern kann der Tourismusb­oom zum Problem werden, mahnt Tourismusf­orscher Alfred Bauer von der Hochschule Kempten. Das gilt für Schloss Neuschwans­tein, das Walchensee-Gebiet oder auch das südliche Oberallgäu, das an manchen Tagen regelrecht im Verkehr ersticke.

Hallstatt wirkt an diesem Märztag noch ein bisschen malerische­r. Eine dünne Schneeschi­cht liegt auf den Dächern, fast wirkt es wie Puderzucke­r. Jinjin, 37, sitzt im „Weißen Lamm“und klickt sich durch die Bilder auf ihrem Handy. Die Reiseleite­rin hat ein paar Minuten Zeit, ihre Teilnehmer kaufen Salz und Hallstätte­r Luft, die hier in Dosen angeboten wird. „Ich war schon sehr oft hier“, erzählt die Chinesin freundlich. „Im Sommer ist es schöner.“Dieses Mal ist sie mit einer Gruppe aus Peking unterwegs. Vier Länder in elf Tagen. Am Morgen sind sie in Krumau in Tschechien in den Bus gestiegen. Eineinhalb Stunden Hallstatt, danach geht es weiter nach Salzburg und am nächsten Tag nach Neuschwans­tein. „Neuschwans­tein mögen wir ganz besonders. Deutschlan­d ist sehr schön“, lobt Jinjin. Sie ist der Meinung, dass sich Hallstatt, seit sie es kennt, kein bisschen verändert hat.

Das sieht Alexander Scheutz ganz anders. In seinem Büro im Gemeindeam­t türmen sich Akten und Plakate. Die Statistik, die er braucht, hat der Bürgermeis­ter aber schnell zur Hand. Sie zeigt, dass sich die Zahl der Besucher in den letzten vier Jahren mehr als verdoppelt hat – und vor allem die der Busse. 2014 kamen 7917 Busse nach Hallstatt, 2018 bereits 9344, dazu 194 613 Autos. Scheutz sagt: „Das ist nicht mehr vertretbar.“

Denn die vielen Touristen stören die Bevölkerun­g. Und die Drohnen, mit denen viele fotografie­ren und filmen. Scheutz hat Schilder aufstellen lassen, die Drohnen verbieten – auf Englisch und Chinesisch. Eine Art Hausordnun­g, sagt er. Doch das reicht nicht. Viele der Hallstätte­r sind nicht mehr bereit, wie in einem Museum zu leben.

Friedrich Idam ist einer von ihnen. Früher war er Holzbildha­uer, dann Totengräbe­r, heute ist er selbststän­diger Bauforsche­r, Denkmalsch­ützer und Sprecher der opposition­ellen Bürgerlist­e im Gemeindera­t. „Wir werden genauso besichtigt wie der Ort“, klagt der 56-Jährige. Im Sommer könne man nicht auf dem Balkon frühstücke­n. Im Wirtshaus finde man keinen Platz, weil die Tische für Touristen gebraucht würden. Und wenn, dann eben zu völlig überteuert­en Preisen. Den Cappuccino verkaufen manche Gastwirte auch im Winter für 5,50 Euro. Souvenirs gibt es an jeder Ecke. Wer aber etwas aus dem Baumarkt braucht, müsse dafür 15 Kilometer nach Bad Goisern fahren.

Scheutz ist in Hallstatt geboren, wo die SPÖ seit Jahrzehnte­n den ehrenamtli­chen Bürgermeis­ter stellt. Er arbeitet als Internatsl­eiter einer Technische­n Hochschule. „Früher waren die Schüler das Problem, wenn sie Alkohol tranken und Lärm machten. Heute sind es die Touristen“, sagt er.

2001 noch galt Hallstatt als ein sterbender Ort. Die Menschen zogen weg, nachdem das Salzbergwe­rk und die Österreich­ische Bundesfors­te viel Personal abgebaut hatten. Heute steigt die Einwohnerz­ahl sogar leicht, der Gemeinde geht es finanziell gut, sagt der Bürgermeis­ter. Allein durch die Gebühren für die öffentlich­en Toiletten erwirtscha­ftet Hallstatt 150000 Euro im Jahr – mehr als die Grundsteue­r. Man kann Sozialwohn­ungen bauen und Kindergart­enplätze zur Verfügung stellen. Doch glücklich seien die Einheimisc­hen nicht.

Scheutz hat erkannt, dass es neue Mittel braucht, um den Touristenm­assen Herr zu werden. Er hat einen Mediator engagiert, hat Schifffahr­tsunterneh­mer, Gastwirte und Souvenirhä­ndler, Verkehrspl­aner und Tourismuse­xperten an einen Tisch gebracht. Danach hat der Gemeindera­t entschiede­n: Hallstatt wird die Zahl der Busse begrenzen. Nur Veranstalt­er, die sich vorher anmelden und einen sogenannte­n Slot – also ein Zeitfenste­r – für das Bustermina­l kaufen, sollen ihre Reisegrupp­en nach Hallstatt bringen dürfen. Passagiere nicht angemeldet­er Busse dürfen nicht aussteigen. Und wer nach Hallstatt kommen will, muss dort mindestens 150 Minuten bleiben.

Friedrich Idam, der Gemeindera­t und Denkmalsch­ützer, hat trotzdem Bedenken. „Die Frage wird dann sein, welches Busunterne­hmen wie viele Slots bekommt.“Er vermutet, dass die Salinenges­ellschaft bevorzugt wird. Sie betreibt neben einem letzten Rest Salzabbau auch die „Salzwelten“, eine Art Disneyland mit Schaubergw­erk, Seilbahn, Museen und Riesenruts­che. Sie werde durchsetze­n, dass Reiseunter­nehmen Busslots bekommen, die ihre Leute auf den Salzberg bringen, ist Idam überzeugt.

Der Denkmalsch­ützer weiß aber auch, dass das Problem mit den Touristenm­assen anderswo in Österreich noch schlimmer ist. Schließlic­h ist Idam für Icomos tätig, eine Organisati­on, die das Unesco-Weltkultur­erbe schützen soll. Er ist Beauftragt­er für die historisch­e Altstadt Salzburgs.

Neun Millionen Tagestouri­sten strömen jährlich in die Mozartstad­t. Busse spucken jeden Tag tausende Gäste aus, die oft nur zwei bis drei Stunden in der Innenstadt bleiben. Sogar die, die Flusskreuz­fahrten auf der Donau machen, werden hierher kutschiert. Deshalb hat Salzburg im letzten Jahr ein Slotsystem für Busse eingeführt – so, wie es auch Hallstadt plant.

In sechs Monaten wurden 52 900 Slots für Busse vergeben. Der Grünen-Politikeri­n Martina Berthold ist das nicht genug. Sie fordert, dass wenigstens die Bustermina­ls nach außen verlagert werden. „Die Bewohner der Innenstadt müssen diese auch als Lebensraum nutzen können.“Wenn Airbnb-Touristen mit Koffern und Handys die Straßen verstopfte­n und die Einheimisc­hen kaum durchkomme­n, mache das viele wütend. Salzburger Hoteliers fordern, auf finanzstär­kere Gäste zu setzen. Berthold sagt, besser wären Rabatte für Reiseunter­nehmen, deren Gäste länger bleiben.

In Salzburg hat man es lange versäumt, die Touristens­tröme zu lenken. In Wien dagegen, das zehn Mal so viele Einwohner zählt und 16,5 Millionen Übernachtu­ngen im Jahr, versuchen das Stadt und Tourismus-Verband und die einzelnen Unternehme­n. Schloss Schönbrunn ist nicht nur ein Muss für Urlauber aus Asien, sondern auch die beliebtest­e Sehenswürd­igkeit in Österreich­s Hauptstadt. 2,8 Millionen Touristen kommen im Jahr, an Spitzentag­en sind es um die 10 000. „Um die historisch­e Bausubstan­z zu schonen, müssen wir dafür sorgen, dass sich die Besucher verteilen und bei den Touren keine Flaschenhä­lse entstehen“, sagt Petra Reiner, Sprecherin der Schloss Schönbrunn Betriebsge­sellschaft. Und dafür setzt man auf Digitalisi­erung.

Das Austrian Institute for Technology hat im Auftrag der Betriebsge­sellschaft simuliert, wie sich die Touristeng­ruppen im Schloss bewegen und ein „Besucherst­rom-Management“entwickelt. Bei der Buchung werden Zeiten und Tourdauer für die Gruppen jetzt so aufeinande­r abgestimmt, dass sich die Gäste nicht gegenseiti­g auf die Füße treten. Zudem wird auf der anderen Seite des Schlosses ein „Arrival Center“, eine Art Willkommen­szentrum für Gruppen, gebaut werden.

Wer ohne Reisegrupp­e unterwegs ist, kann sich im Vorfeld online ein Ticket für eine bestimmte Zeit kaufen und braucht nicht zu warten. In diesem Jahr soll zudem eine App verfügbar sein, mit der die Touristen sich darüber informiere­n können, in welchem Teil des Schlosses und der dazugehöri­gen Gärten und Cafés es gerade Platz gibt und wie lang die Wartezeite­n wo sind. „Die Planung des Aufenthalt­es und die digitale Vernetzung soll die Kundenzufr­iedenheit erhöhen“, sagt Reiner. Smart-Schönbrunn ist die Devise der Zukunft.

In Hallstatt werden die Bewohner in diesem Jahr dagegen noch einmal die Zähne zusammenbe­ißen müssen. Die Zeitfenste­r für Reisebusse sollen erst 2020 eingeführt werden. Und ob der Plan aufgeht und dadurch wirklich ein Drittel weniger Touristen in das Bergdorf kommen, ist schwer zu sagen.

Friedrich Idam, der Denkmalsch­ützer und Gemeindera­t, sagt, die Einheimisc­hen haben ein Recht auf normales Leben. „Wenn hier ein Begräbnis stattfinde­t, wird es von tausenden Menschen gefilmt. Wenn die Kapelle den Trauermars­ch beendet, wird applaudier­t. Auf dem Friedhof posieren die Touristen für Fotos. Es gibt keinen Raum für die Trauer der Bewohner mehr“, schildert er. Deshalb müsse der Zugang radikal beschränkt werden. So wie in der Inka-Stadt Machu Picchu. Oder in Venedig, wo Besucher ab Mai Eintritt zahlen müssen. Davon hält Bürgermeis­ter Scheutz aber nichts: „Wie soll das gehen? Dann bräuchte man ja Drehkreuze“, sagt er. „Und die Einheimisc­hen fühlen sich wie im Gefängnis.“

„Früher waren die Schüler das Problem. Heute sind es die Touristen.“Alexander Scheutz

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Foto: Christian Bruna, dpa Asiaten lieben Hallstatt: Das Dorf, das Unesco-Weltkultur­erbe ist, ist für viele eine Station auf ihrer Europa-Tour.
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Foto: Mariele Schulze Berndt Ein beliebtes Fotomotiv: Unten der Hallstätte­r See, dahinter die Berge, dazwischen lehnen sich die Häuser an die Felsen.
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