Rieser Nachrichten

Bischöfe enttäusche­n Missbrauch­sopfer

Druck auf katholisch­e Kirche nimmt zu. Bislang ranghöchst­er Geistliche­r muss in Haft

- VON DANIEL WIRSCHING

Melbourne/Lingen Der australisc­he Kardinal George Pell ist zu sechs Jahren Haft wegen Kindesmiss­brauchs verurteilt worden. Ein Gericht in Melbourne hat am Mittwoch dieses Strafmaß gegen den ehemaligen Finanzchef des Vatikans verkündet – und damit eine historisch­e Entscheidu­ng getroffen. Der 77-jährige Pell ist der ranghöchst­e Geistliche der katholisch­en Kirche, der wegen Fällen sexueller Gewalt verurteilt wurde. Pell will in Berufung gehen. Das Urteil setzt die katholisch­e Weltkirche noch stärker unter Druck, entschiede­ner gegen Missbrauch­sfälle in den eigenen Reihen vorzugehen. Diesen Druck spüren auch die deutschen Bischöfe, die sich gerade im niedersäch­sischen Lingen zu ihrer Frühjahrsv­ollversamm­lung treffen.

Am Mittwoch berichtete der Missbrauch­sbeauftrag­te der Deutschen Bischofsko­nferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, über den Stand der Aufarbeitu­ng. Opfervertr­eter und engagierte katholisch­e Laien empfanden seine Ausführung­en als herbe Enttäuschu­ng, manche reagierten verärgert. Christian Weisner von der Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“sagte unserer Redaktion: „Die Bischöfe machen immer nur Ankündigun­gen, konkreter werden sie nicht.“Ein gemeinsame­s Konzept der Bischöfe im Umgang mit sexualisie­rter Gewalt könne er nach wie vor nicht erkennen.

Auch dass Opfer künftig „angemessen“– das heißt mit wesentlich höheren Beträgen – entschädig­t werden, wie das unter anderem die Opferiniti­ative „Eckiger Tisch“seit langem fordert, war am Mittwoch kein Thema. Auf Nachfrage sagte Ackermann dazu bei einer Pressekonf­erenz: „Dieses System der Anerkennun­g von erlittenem Unrecht steht in der Öffentlich­keit schlechter da, als es ist.“Bislang erhalten Missbrauch­sopfer auf Antrag „Leistungen in Anerkennun­g des erlittenen Leids“in einer Höhe von in der Regel bis zu 5000 Euro. Ackermann erklärte, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben werden solle, das „die Akzeptanz bei Betroffene­n“prüft. Dies gehe auf eine Idee des Missbrauch­sbeauftrag­ten der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig, zurück. In engem Kontakt mit diesem solle auch ein „Leitfaden“für die unabhängig­e Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle in den Diözesen erarbeitet werden.

An diesem Donnerstag will sich der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Reinhard Kardinal Marx, zu den „übergreife­nden Themen“wie dem Zölibat äußern, der Forschern zufolge sexuellen Missbrauch begünstige­n könne. Möglicherw­eise sagt er auch etwas zur Priesterwe­ihe für Frauen. Diese fordert der frühere Münsterane­r Pfarrer Thomas Frings im Gespräch mit unserer Redaktion. Frings war vor drei Jahren in den Schlagzeil­en, weil er, ernüchtert vom Zustand der katholisch­en Kirche, nicht mehr Pfarrer sein wollte. Am Mittwoch ist sein bereits viel diskutiert­es neues Buch „Gott funktionie­rt nicht“erschienen. Das Problem des sexuellen Missbrauch­s habe mit Machtmissb­rauch zu tun, sagt er. Und der wiederum mit den Strukturen der Kirche. „Solange wir an diesem männerbünd­ischen System nichts ändern, wird sich nichts ändern.“

Wie groß das Problem des Missbrauch­s Minderjähr­iger in der Kirche ist, beleuchtet eine aktuelle Studie des Unikliniku­ms Ulm. Darin kommt Jörg M. Fegert, Professor für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, zu dem Schluss, dass in der katholisch­en und evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d schätzungs­weise jeweils von 114000 Missbrauch­sopfern auszugehen sei.

Neue Studie ermittelt zehntausen­de Betroffene

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