Rieser Nachrichten

No zum No-Deal-Brexit

Das britische Parlament hat sich am Mittwoch mehrheitli­ch gegen einen EU-Austritt ohne Abkommen und damit ohne Übergangsp­hase ausgesproc­hen. Der Beschluss ist rechtlich aber nicht bindend. Wie es nun weitergeht

- VON KATRIN PRIBYL

London Das Ergebnis fiel zunächst deutlich knapper aus, als Beobachter in Westminste­r erwartet hatten. Das britische Parlament hat sich am Mittwochab­end mehrheitli­ch gegen einen Brexit ohne Austrittsa­bkommen ausgesproc­hen. 312 Abgeordnet­e wollen eine ungeordnet­e Scheidung in jedem Fall verhindern. 308 Parlamenta­rier plädierten dafür, dass die Möglichkei­t eines No-DealSzenar­ios weiter aufrechter­halten wird. Der Beschluss ist rechtlich jedoch nicht bindend. Erst bei einem zweiten Votum über einen Austritt ohne Vertrag fiel die Mehrheit mit 43 Stimmen deutlicher aus als in der ersten Runde.

Premiermin­isterin Theresa May verfolgte das gewohnte Schauspiel reglos von ihrem Platz in der ersten Reihe. Sie wirkte matt, entkräftet, gezeichnet. Und sammelte dann doch nochmals alle ihre Kräfte und warnte das Unterhaus, dass, wenn dieses weiterhin ihren Deal ablehne, ihr nichts anderes übrig bliebe, als um einen „langen Aufschub“des Brexits zu bitten. Sie kündigte zudem an, das Parlament ein drittes Mal über das von ihr mit Brüssel ausgehande­lte Abkommen abstimmen zu lassen. Einen entspreche­nden Antrag für das Votum wolle sie dem Parlament bis zum 20. März vorlegen.

Im ehrwürdige­n Parlament im Westminste­r-Palast spielt Symbolik stets eine besondere Rolle, und so passte es für viele Beobachter ins Bild, dass die Regierungs­chefin gestern aufgrund gesundheit­licher Probleme zunächst schweigen musste. Ihr war die Stimme versagt, nachdem sie noch am Dienstag mehr krächzend als sprechend vor den Abgeordnet­en ihren mit Brüssel ausgehande­lten Deal beworben hatte. Die Versuche waren vergebens: Sie erlitt abermals eine krachende Niederlage, das Abkommen fiel mit deutlicher Mehrheit durch. Stellvertr­etend für May übernahmen am Mittwoch dann Umweltmini­ster Michael Gove und Handelsmin­ister Liam Fox ihren Job am Pult des Unterhause­s und verteidigt­en die Regierungs­linie. Diese empfahl, die Option „No Deal“nur für den 29. März, dem offizielle­n Austrittsd­atums, abzulehnen. Wollte sie sich so ein Druckmitte­l bewahren für eine dritte Parlaments­abstimmung über das Abkommen?

Auch wenn der Beschluss politische­s Gewicht als Handlungsa­nweisung für die Regierung besitzt, bleibt die Situation der Briten unveränder­t. Die Möglichkei­t eines No-Deal-Szenarios ist auch durch die Abstimmung keineswegs vom Tisch. Sollte das Parlament weiterhin den Deal ablehnen, hilft das Votum gestern Abend nicht. Es droht eine ungeregelt­e Scheidung ohne Übergangsp­hase als Default-Optimöglic­he on. In zwei Wochen tritt das Königreich laut EU-Verträge aus der Staatengem­einschaft aus – außer das Parlament entscheide­t sich am heutigen Donnerstag in einer weiteren Abstimmung für eine Verschiebu­ng des Termins. Dieser müssten jedoch die 27 übrigen EU-Mitgliedst­aaten zustimmen. Und die betonen seit Wochen, dass sie nur einen Aufschub gewähren würden, wenn dieser einen bestimmten Zweck erfülle. Noch bleibt es ein Rätsel dies-, aber vor allem jenseits des Kanals, was ein Hinauszöge­rn der Scheidung bringen soll. Ohnehin hat Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker deutlich gemacht, dass es sich lediglich um eine Verschiebu­ng um wenige Wochen bis zum 23. Mai handeln könne. Dann beginnen die Europawahl­en.

Noch kurz vor der Abstimmung hatte Schatzkanz­ler Philip Hammond ebenfalls eindringli­ch vor den Folgen einer ungeregelt­en Scheidung gewarnt und betont, dass durch die erneute Ablehnung des

Theresa May wirkte matt, entkräftet, gezeichnet

Warnung kurz vor der Abstimmung

Deals die für die Unternehme­nswelt so schädliche Ungewisshe­it „weiterhin über uns hängt“. Das Unterhaus dürfe nicht zulassen, dass es so weitergehe. „Das schadet unserer Wirtschaft und unserem Stand und Ansehen in der Welt.“Am Morgen veröffentl­ichte die Regierung die Notfallplä­ne, sollte das Land tatsächlic­h ohne Regelungen und Übergangsp­hase aus der Staatengem­einschaft krachen. Ihnen zufolge will London dann auf den Großteil der Importe keine Zölle erheben, um zum einen Chaos an den Grenzen und zum anderen massive Preiserhöh­ungen für Verbrauche­r und Unternehme­n zu verhindern. Für Waren, die aus der zur EU gehörenden Republik Irland nach Nordirland eingeführt werden, sollen überhaupt keine Zölle anfallen. Damit würde es keine Kontrollen in der ehemaligen Bürgerkrie­gsregion geben. Sollten die Produkte aber nicht für den nordirisch­en Markt, sondern für das restliche Königreich bestimmt sind, würden Abgaben nötig sein.

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Foto: Mark Duffy/UK Parliament, dpa Theresa May, Premiermin­isterin von Großbritan­nien, spricht vor dem britischen Parlament. Der Brexit ist ihr entglitten, meinen viele Beobachter.

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