Rieser Nachrichten

Brüssel verliert die Geduld

Warum eine Verschiebu­ng gar nicht so einfach ist

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Appelle haben nichts genützt, die Drohungen nicht und auch nicht die Vision vom Beginn einer „strahlende­n Zukunft“für Großbritan­nien, die Premiermin­isterin Theresa May immer wieder beschworen hat. Das Unterhaus hat den Brexit-Deal mit der Europäisch­en Union abgeschmet­tert. Und nun, Britannia?

Wo stehen wir bei diesem BrexitDurc­heinander jetzt eigentlich? Das britische Unterhaus hat den mit der EU ausgehande­lten Austrittsv­ertrag zum zweiten Mal abgelehnt. Am gestrigen Mittwoch erteilte das Parlament in London einem Brexit ohne Deal auch eine Absage. Es wird damit gerechnet, dass das Parlament deshalb heute die EU um mehr Zeit bittet, um einen besseren oder anderen Deal auszuhande­ln. Falls die Briten um mehr Zeit bitten: Welchen Spielraum könnte die EU denn einräumen?

Nicht viel. Schon beim Last-minute-Treffen zwischen Premiermin­isterin Theresa May und Kommission­schef Jean-Claude Juncker am Montag hatte der festgestel­lt, dass es keine Verlängeru­ng über den 23. Mai hinaus geben könne. Der Grund: An dem Tag beginnen die Europawahl­en in den ersten Mitgliedst­aaten. Sollte das Königreich dann noch vollwertig­es EU-Mitglied sein, müsste es ebenfalls Abgeordnet­e wählen, was der Bevölkerun­g niemand erklären könnte. Erwogen werden deshalb nach Angaben von Diplomaten zwei Varianten: eine kurze Verlängeru­ng um wenige Wochen – in der Hoffnung auf eine Wende oder Lösung in London. Oder eine längere Verschiebu­ng als eine Art Denkpause. Premiermin­isterin Theresa May bekannte selbst, dass eine Verschiebu­ng „ohne Plan“die Probleme kaum mindern würde. Niemand kennt eine Alternativ­e zu dem abgelehnte­n Abkommen und in wenigen Wochen wäre auch kein neues auszuhande­ln. Am Ende der verlängert­en Austrittsf­rist würde doch nur wieder die Drohung eines Chaos-Brexits stehen, sagte May und resümierte: „Die Optionen sind trostlos.“

Und was sagt Brüssel? Die Briten sagen, sie wollen mehr Zeit, und die EU macht mit?

Ganz im Gegenteil. Der Antrag über eine Verschiebu­ng des Brexits, der heute Abend ansteht, bedarf erst noch einer Genehmigun­g durch die Union. Die einschlägi­gen Regelwerke legen fest: Eine Verlängeru­ng der zweijährig­en Frist zwischen Abgabe einer Austrittse­rklärung und dem Vollzug bedarf der einstimmig­en Billigung des Europäisch­en Rates, wie der EU-Gipfel offiziell heißt. Und: Er muss begründet werden. Vorstellba­r seien nur drei Gründe, sagte ein Diplomat: die Ratifizier­ung des bisher abgelehnte­n Austrittsv­ertrags in Großbritan­nien; zusätzlich­e Zeit für die Vorbereitu­ng auf einen No Deal oder Zeit für ein Referendum oder eine Neuwahl in Großbritan­nien. „Es muss etwas Greifbares dahinterst­ecken“, sagte Luxemburgs Außenamtsc­hef Jean Asselborn. Das kann in Brüssel aber derzeit niemand erkennen.

Wer darf so etwas wann entscheide­n?

Die 27 Staats- und Regierungs­chefs könnten bei ihrem Treffen Ende nächster Woche in Brüssel einen solchen Beschluss diskutiere­n und wohl auch fassen.

Die EU würde damit noch mal auf May eingehen?

Ihr bleibt nichts anderes übrig. Obwohl die Stimmung gegenüber Premiermin­isterin May (so betonte gestern ein hochrangig­es Mitglied der Kommission) derzeit als „bestenfall­s schlecht“gilt. Ihr werden schwere taktische und strategisc­he Fehler im eigenen Haus vorgeworfe­n. „Sie hat den Karren vor die Wand gefahren“, hieß es. Denn es gibt keinen Brexit ohne Deal, aber eben auch keinen Deal für einen Brexit. Entspreche­nd frustriert ist man in Brüssel. „Was für ein Desaster“, sagte Fraktionsc­hef Manfred Weber von der Europäisch­en Volksparte­i (EVP). „So kann es nicht weitergehe­n.“Weber spricht sich für ein zweites Referendum aus. „Es wäre der logische nächste Schritt, die Menschen erneut zu fragen“, sagte er.

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