Rieser Nachrichten

Die Saudis greifen nach der Scala

Mailands Opernhaus ist der musikalisc­he Stolz Italiens. Jetzt aber sollen Petrodolla­rs mit zur Finanzieru­ng beitragen. Der Aufschrei ist groß. Was beabsichti­gen die Scheichs?

- Annette Reuther/Jan Kuhlmann, dpa

Mailand/Riad Die Saisoneröf­fnung der Mailänder Scala gehört zu den wichtigste­n kulturelle­n Ereignisse­n in Italien. Wer bei dem Spektakel dabei ist, hat im Land meist was zu sagen. Hin und wieder gibt es einen Skandal oder ein Skandälche­n. Diese Spielzeit protestier­ten Tierschütz­er gegen den Auftritt eines Pferdes bei Verdis Oper „Attila“. Auf einen seltenen Gast im Publikum waren die Augen im vergangene­n Dezember allerdings noch nicht gerichtet: In den Rängen saß der saudi-arabische Kulturmini­ster Prinz Badr bin Abdullah. Drei Monate später ist der Aufschrei groß. Denn Saudi Arabien will Millionen in eines der berühmtest­en Opernhäuse­r der Welt investiere­n. Und das Pikante: Im Gegenzug soll Prinz Badr im Aufsichtsr­at sitzen.

Seit die Nachricht in der Welt ist, sind sich Politiker von links bis rechts in Italien ausnahmswe­ise einmal einig. Ein ultra-konservati­ver arabischer Staat, der zuletzt mit einem Tötungskom­mando den Regierungs­kritiker Dschamal Kaschoggi ermorden ließ, habe nichts in einer von Italiens obersten Kulturstät­ten zu suchen. „Wir können es uns absolut nicht erlauben, dass eines der prestigetr­ächtigsten Symbole Mailands mit einem Land zusammenar­beitet, das täglich die Menschenre­chte und die Freiheit mit Füßen tritt“, erklärte der sozialdemo­kratische Europaabge­ordnete Antonio Panzeri. „Pecunia non olet (Geld stinkt nicht), sagte man im alten Rom“, erklärte der Senator der konservati­ven Forza Italia, Maurizio Gasparri, „aber es ist kein Prinzip, das moralisch immer vertretbar ist.“

Als größter Skandal gilt, dass sich das ölreiche Königreich mit seinen Petrodolla­rs gleich in den Aufsichtsr­at einkaufen und so Legitimitä­t verschaffe­n will. 15 Millionen Euro aus Saudi-Arabien sollen in den kommenden fünf Jahren insgesamt an das Opernhaus fließen. Im Gegenzug soll in Riad ein Konservato­rium für Kinder öffnen. Auch ist im Gespräch, Verdis Oper „La Traviata“in der saudischen Hauptstadt aufzuführe­n. Der Präsident der Region Lombardei, Attilio Fontana, sprach von einem „fast heiligen“Status der Scala. „Man kann Produkte der Scala verkaufen, aber man kann nicht gleich die Scala selbst verkaufen“, sagte er der Zeitung Corriere della Sera.

Der Intendant der Oper, der Österreich­er Alexander Pereira, kann die Aufregung nicht verstehen. Es sei ein positives Zeichen, wenn sich ein Land öffne, das sich 40 Jahre der Kultur verschloss­en habe, gab er zu Protokoll. Er habe den Fall Kaschoggi verfolgt und er wisse sehr gut, dass das saudische Regime „despotisch“sei. Er sei aber, fügte Pereira hinzu, von der „positiven Kraft der Musik“überzeugt. Und wenn die Scala das Geld nicht nehme, würde es jemand anderer tun – Frankreich nämlich. Mittlerwei­le ist in den Fall auch die Regierung in Rom eingeschal­tet. Am 18. März tagt der Aufsichtsr­at in Mailand. Dann soll eine Entscheidu­ng fallen. Der Vorsitzend­e, Mailands Bürgermeis­ter Giuseppe Sala, übte sich in Zurückhalt­ung. Es sei richtig, dass Gelder auch außerhalb Italiens gesucht würden, sagte er. Die Frage sei aber, was man dafür im Gegenzug verlange.

Saudi-Arabien dürfte versuchen, mit dem Engagement an der Scala das Image des Königreich­s aufzupolie­ren, das wegen Menschenre­chtsverlet­zungen internatio­nal am Pranger steht. Bislang sorgten eher die Nachbarlän­der auf der arabischen Halbinsel mit Kulturproj­ekten für Aufsehen. So wurde etwa im November 2017 der Louvre Abu Dhabi eröffnet, für dessen Namen und Leihgaben das Golfemirat knapp eine Milliarde Euro nach Frankreich überwies. Auch das dank großer Gasvorkomm­en reiche Katar hat in der Kunstszene einen Namen. Scheicha Al-Majassa bint Hamad Al Thani gilt als eine der weltweit einflussre­ichsten und finanzstär­ksten Kunstsamml­erinnen.

Doch selbst das islamisch ultrakonse­rvative Saudi-Arabien erlebt kulturell eine Öffnung, seit Kronprinz Mohammed bin Salman – kurz MbS genannt – zum mächtigste­n Mann des Königreich­s aufgestieg­en ist. Kinos sind nach Jahrzehnte­n wieder erlaubt. Mit viel Geld werden internatio­nale Stars ins Land geholt. Vergangene­s Jahr feierten Tausende in Riad mit den Black Eyed Peas und Enrique Iglesias. Neuerdings hat das Königreich auch ein Kulturmini­sterium, an dessen Spitze Prinz Badr steht. Der neue Kulturmini­ster solle das Land „in eine globale kulturelle Drehscheib­e“verwandeln, hieß es in der offizielle­n Propaganda. Saudi-Arabien erlebe eine „neue Ära“.

Mit der Öffnung schafft es der 33 Jahre alte MbS tatsächlic­h, die jungen Saudis auf seine Seite zu ziehen, bei denen er sehr beliebt ist. Im Wettbewerb mit Katar und den Emiraten um Macht und Einfluss wird das Königreich internatio­nal aktiver. Zuletzt kursierten Gerüchte, MbS wolle den englischen Fußballklu­b Manchester United übernehmen. In Italien gab es Ärger, weil die Topklubs Juventus Turin und AC Mailand im saudischen Dschidda den Superpokal austrugen. Für das Königreich war auch das eine Chance, sich als offen zu zeigen.

Doch trotz allem: Der Kronprinz geht rücksichts­los gegen Gegner vor. Kritiker sehen hinter der liberalen Fassade des ehrgeizige­n Thronfolge­rs einen brutalen und zu allem bereiten Autokraten, der keinen Widerspruc­h duldet. Zahlreiche Menschenre­chtsaktivi­sten sitzen in Haft und warten auf ihren Prozess. Daran wird vermutlich auch Musik aus Mailand nichts ändern.

Saudi-Arabien beginnt, sich kulturell zu öffnen

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Foto: akg-images Ein Heiligtum für Opernliebh­aber: der Zuschauerr­aum der Mailänder Scala.

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