Manche mögen’s roh
Tatar geriet hierzulande fast in Vergessenheit, bis es Spitzenrestaurants auch als Gegentrend zum Zeitgeist wiederentdeckt haben. In der französischen Küche ist der Klassiker beliebt wie eh und je. Was ein gutes Tatar ausmacht
Tatar ist ein Gericht mit Geschichte. Um die Entstehung ranken sich Mythen. Und heute ist es in seiner puren Rohheit das Gegenstück zu all den Trends der Fleischlosigkeit, der durchgegarten, antiseptischen Risikovermeidung und der zur Ersatzreligion erhobenen Ernährungsselbstoptimierung. Doch es sind der Geschmack und die feine Textur, die Tatar-Fans wieder zu dem alten Klassiker bringen: Sie drehen ein Stück edles Rinderfilet durch den Fleischwolf oder hacken es mit dem Messer klein und essen es roh. Wer Tatar daheim macht, braucht keinen Fleischwolf – und muss nicht mal Fleisch mögen: Auch aus Fisch und Gemüse lässt sich ein Tatar zaubern.
Einst auch in Deutschland ein Klassiker der guten Küche, ist Rindertatar ganz anders als in Frankreich in den vergangenen Jahren weitgehend von den Speisekarten deutscher Restaurants verschwunden. Erst in jüngster Zeit taucht neben Fisch- und Gemüsetatar auch das Rindertatar hier und dort wieder auf. Vorreiter waren vor allem italienische Spitzenrestaurants, die Tatar gern in der Trüffelsaison als Vorspeise servieren – das Fleisch mit dem Messer feingewürfelt und nicht durch Wolf gedreht.
Inzwischen wandert Tatar wieder in vielen modernen Restaurants auf die Teller. Insbesondrre dort, wo man auf die französische Küche setzt, wie im Hamburger Café Paris. Etwa im Ganzen zehn bis 15 Kilogramm Fleisch verarbeiten dort die Profis täglich in der Küche zu Tatar. „Die Gäste schätzen die Zartheit und den Geschmack des frischen Fleisches und die feine Würze“, sagt Mitinhaber Michael Hermes. Das am Tisch des Gastes zubereitete „Tartare Café Paris“sei besonders beliebt, erzählt Hermes. Der Kellner fährt einen Wagen mit Zutaten heran, bereitet frisch eine Mayonnaise aus Eigelb, Olivenöl und Senf zu und mischt das Tatar dann ganz nach dem Geschmack des Gastes mit Zutaten wie Kapern, Anchovis, roten Zwiebeln und Tabasco.
Der Begriff Tatar kommt bekanntermaßen von den Tataren. Dass diese rohes Fleisch beim Reiten unter ihre Sättel legten, um es vor dem Essen mürbe zu machen, gilt allerdings nur als Mythos. Man geht heute davon aus, dass das Fleisch nicht gegessen wurde, sondern Wunden des Pferdes heilen sollte. Vermutlich hat die Sauce tartare, eine Art Mayonnaise aus der französischen Küche, dem Fleischgericht erst seinen Namen gegeben. berühmte französische Spitzenkoch Auguste Escoffier – Urvater der heutigen Sterneküche – soll die Soße Anfang des 20. Jahrhunderts zu roh gehacktem Rindfleisch serviert haben und nannte das Gericht Beefsteak à la Tartare.
Für ein gutes Tatar zählt vor allem die Qualität des Fleisches. Es muss fett- und sehnenfrei sein. Geeignet sind Filet, Kamm oder das sogenannte falsche Filet, ein Schulterstück des Rindes. „Beim Einkauf an der Fleischtheke sollte man darauf achten, dass bereits durchgelas- senes Fleisch nicht gräulich oder grünlich schimmert und nicht abgetrocknet, sondern gleichmäßig dunkelrot aussieht“, sagt Jörg Stürmer, Experte für Lebensmittelhygiene in Stuttgart. Außerdem sollte Tatar keine weißlichen Einschlüsse wie normales Hackfleisch haben.
Frisches Tatar ist fast geruchlos, es darf laut Stürmer nur „einen leichten Geruch nach Rindfleisch“haben. Ideal ist, wenn der Fleischer das Tatar erst auf Kundenanfrage durch den Wolf dreht. Da rohes Fleisch schnell verdirbt und die GeDer fahr einer Verunreinigung mit Salmonellen oder anderen Keimen besteht, muss Tatar nach dem Einkauf möglichst schnell wieder gekühlt werden. „Optimal ist es, mit der Kühltasche zum Einkaufen zu gehen“, sagt Hygieneexperte Stürmer. Im Kühlschrank sollte das Fleisch dann bei einer Temperatur von zwei bis vier Grad Celsius liegen.
Noch frischer auf den Tisch kommt das rohe Fleisch natürlich, wenn es erst zu Hause vor dem Essen gewolft oder noch besser in kleine Würfelchen geschnitten wird. Auch Jean-Guillaume Dufour, Restaurantbesitzer und Autor des Kochbüchleins „Tatar“(Hädecke, 72 Seiten, 12,95 Euro) , bevorzugt geschnittenes Fleisch. Wie fein die Würfel sind, ist Geschmackssache. Grobe Würfel haben mehr Biss, feine eher einen zarten Schmelz, sagt der Franzose.
Für Fischtatar empfiehlt Dufour Lachs, roten Thunfisch oder Goldbrasse ohne Haut und Gräten. Ein besonders edler Genuss ist das gewürfelte Fleisch der Jakobsmuschel, angerichtet mit Apfel, Granatapfel, Trüffelöl und Wasabi. Für vegetarische Varianten bieten sich unter anderem Rote Beete sowie Tomaten und Gurken ohne Kerngehäuse an.
Für sein klassisches Rindertatar wählt Dufour Medaillons vom Rumpsteak oder falsches Filet. Zunächst muss das Fleisch sorgfältig pariert werden. Das heißt: Haut, Adern, Fett und Sehnen werden entfernt. Dann empfiehlt Dufour, das Fleisch mit einem scharfen Messer zunächst in dünne Scheiben, dann in Streifen und zuletzt in Würfel zu schneiden. Möglich ist auch, Tatar aus eingefrorenem Fleisch zu machen. „Das Resultat ist aber nicht dasselbe wie bei frischem Fleisch, weil zu viel Wasser zurückbleibt“, sagt Dufour.
Der Lebensmittelhygiene-Experte Stürmer rät: „Beim Selberschneiden sind eine saubere Unterlage und ein sauberes Messer wichtig.“Damit sich Keime nicht so schnell vermehren, sollten Fleisch und Geräte kühl sein. Der Experte empfiehlt, das Fleisch vor dem Schneiden eine Viertelstunde ins Gefrierfach zu legen. Wenn alles vorbereitet ist, geht es an die Zubereitung.
Traditionell gehören ins Rindertatar zumindest ein Eigelb – auch hier unbedingt auf Frische achten –, Kapern und Zwiebeln oder Schalotten. Hinzu kommen beispielsweise Crème fraîche, Cognac, Senf, Cornichons, Anchovis, Tomaten, Tabasco, Kräuter, Worcestershiresauce, Speck, Ingwer, Käse wie etwa Parmesan oder Comté und natürlich Gewürze wie Salz, Paprikapulver und Pfeffer. Alle Zutaten – wenn nötig – in feine Würfel schneiden und mit dem Fleisch vermischen.
Angerichtet wird am besten mit einem Kochring – so bekommt das Tatar auf dem Teller eine schöne Form. In Frankreich isst man übrigens heutzutage meist am liebsten Pommes frites dazu. »
Der Urvater der Sterneküche machte es bis heute berühmt