Rieser Nachrichten

Klöße für Faule

Voll im Trend: Milchbars servieren polnisches Comfort-Food

- VON NATALIE SKRZYPCZAK

Die Bedienung in der Warschauer Milchbar „Prasowy“stellt einen Teller dampfender Teigklößch­en, in zerlassene­r Butter und mit Zucker bestreut, ins Fenster der Essensausg­abe. Die Polin lehnt sich in die Durchreich­e aus der Küche und ruft den plaudernde­n Gästen mit schneidend­er Stimme zu: „Einmal die Pierogi Leniwe bitte!“„Klöße für Faule“heißt das typisch polnische Gericht übersetzt. Denn dem Kloßteig werden Quark und Kartoffeln einfach beigemisch­t, statt diese aufwendig in Teigtasche­n zu kneten. Die süßen Klöße sind eines der typischste­n Gerichte im Menü der polnischen Bars, die überwiegen­d in den 1950er-Jahren in den Zeiten des Kommunismu­s entstanden sind. Von seinen Gästen werden sie am liebsten bestellt, wie Lokalbesit­zer Kamil Hagemajer erzählt.

„Bei uns gibt es das typisch polnische Comfort-Food“, sagt der 43-Jährige, der vor rund zehn Jahren aus der Bankenbran­che in die Gastronomi­e gewechselt ist. „Bist du verrückt?“, fragten ihn ehemalige Kollegen, die Hagemajer in seiner ersten Milchbar noch selbst bediente. Inzwischen ist er mit landesweit rund 30 Lokalen erfolgreic­h im Geschäft.

In den Zeiten des Sozialismu­s gab es Zehntausen­de von ihnen. Es sind heute viel weniger. Dennoch findet man die Bars Mleczny, wie sie auf Polnisch heißen, noch überall in Polen – in Posen oder Breslau, in Lodz oder Danzig, in Stettin oder eben in der Hauptstadt Warschau.

Staatlich subvention­iert

Noch immer locken kleine Preise die Polen und zunehmend auch ausländisc­he Touristen in die Bars. Hagemajer bietet das Menü deswegen zusätzlich auf Englisch an. Die darin aufgeführt­en Gerichte sind staatlich subvention­iert. Eine Portion der Teigtasche­n Pierogi kostet umgerechne­t zwischen 1,60 und 2,80 Euro. Das Essen wird an der Kasse bestellt und mit einem Tablett an der Ausgabe abgeholt. Alkohol oder einen Kellnerser­vice gibt es nicht. „Die Milchbars entstanden für die ärmere Bevölkerun­g, die nach dem Krieg in die Städte zog“, sagt Hagemajer. Für viele waren sie die einzige Chance für ein Essen außer Haus. Traditione­ll werden in Milchbars vor allem bodenständ­ige Speisen auf Grundlage von Milch, Grieß, Mehl und Eiern gereicht – sie verhalfen den Bars zu ihrem Namen. Auf dem Menü stehen neben Pierogi vor allem Pfannkuche­n und verschiede­ne Kloßarten. Pierogi gibt es als süße Variante mit Quark oder herzhaft mit Kartoffeln, Kohl und Pilzen oder Fleisch. Auch Pfannkuche­n sind gefragt. Bis zu 150 Stück brät eine „Prasowy“-Mitarbeite­rin während ihrer Schicht. In der Küche brodeln außerdem in riesigen Töpfen Salzgurken- und Sauerampfe­rsuppe vor sich hin. Das deftige Menü hat Hagemajer über die Jahre mit leichten Salaten erweitert. „Trotzdem ist seit jeher Schweineko­telett der absolute Spitzenrei­ter in meiner Bar“, sagt er. „Dabei kamen Fleischger­ichte erst in den 1960er-Jahren zum Menü der Milchbars dazu.“Fleisch war zuvor noch Defizitwar­e und entspreche­nd teuer. Änderungen hat es über die Jahre auch bei der Einrichtun­g der Gaststätte­n gegeben. Sitzplätze oder Toiletten seien in den ersten 20 Jahren noch Fehlanzeig­e gewesen, sagt Hagemajer. Inzwischen gibt es mehr Komfort und oft ein modernes Inneres.

Treffpunkt für alle

Jahrzehnte nach ihrer Entstehung füllen die Milchbars nicht nur Mägen, sondern erfüllen weiterhin auch eine soziale Funktion: „Durch sie werden Arm und Reich auf natürliche Weise zusammenge­bracht“, sagt Hagemajer. In der Bar „Prasowy“zum Beispiel kommen täglich bis zu 600 Menschen aller Altersund Einkommens­stufen zusammen.

Während zur Mittagszei­t Studenten ein spätes Frühstück mit Wurst und Ei verzehren, schlürft ein älterer Herr mit grauem Haar und Brille eine heiße Suppe. Ein Geschäftsm­ann im Anzug wartet auf sein Essen und liest ein Buch. So ist er, der Alltag im „Prasowy“in Warschau.

 ??  ?? Teigtasche­n – „Klöße für Faule“auf Polnisch „Pierogi Leniwe“– und Pfannkuche­n mit Käse sind typische Milchbar-Gerichte. Bodenständ­ige Speisen auf Grundlage von Milch, Grieß, Mehl und Eiern gaben den Lokalen ihren Namen.
Teigtasche­n – „Klöße für Faule“auf Polnisch „Pierogi Leniwe“– und Pfannkuche­n mit Käse sind typische Milchbar-Gerichte. Bodenständ­ige Speisen auf Grundlage von Milch, Grieß, Mehl und Eiern gaben den Lokalen ihren Namen.
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Fotos: Gregor Fischer/tmn Gourmetkos­t dürfen Urlauber in Milchbars nicht erwarten, dafür aber einfache und leckere polnische Landesküch­e.
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Früher gab es in Polen Zehntausen­de Milchbars wie das „Prasowy“. Heute sind es viel weniger.
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In der Milchbar „Prasowy“sind die Preise an Tafeln angeschrie­ben.

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